Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
ließ ich mir jedoch nicht anmerken und sagte nur: »Diesmal lieber keine Aufnahme für meine Mutter!«
Ted lachte, und da ging auch schon das Programm los. Ein Mann sang Chansons, ein anderer steppte. Beide erstklassig.Ich nippte gelegentlich an meinem Glas und begann, mich wohl zu fühlen. Dann kam eine Ballettnummer: zehn Mädchen in Flitterröckchen mit einem Straußenfedernarrangement in Hüfthöhe und oben ohne. Ich riß die Augen auf; so etwas war damals auch in Paris noch nicht überall zu sehen. Danach erschien endlich die Mistinguette in einem hautengen, langen Abendkleid mit darauf abgestimmtem Kopfschmuck, elegant, nicht so hinreißend schön, wie ich sie mir vorgestellt hatte, aber verführerisch und beeindruckend. Sie sang, ich hörte aufmerksam zu, wollte Ted sagen, wie gut es mir hier gefiel, wandte meinen Blick von der Bühne – und blieb verdattert stumm.
Zwischen den Tischen, auch um unseren, liefen die zehn Mädchen oben ohne herum, begrüßten Bekannte, blieben stehen und scherzten mit den Gästen. Eine wandte sich gerade meinem Begleiter zu. Ihr Parfum stieg mir in die Nase. Ted wechselte mit der halbnackten Schönen ein paar freundliche Worte in seinem fließenden, amerikanisch verbrämten Französisch, und ich wußte nicht, wohin ich blicken sollte. Ich merkte, daß mein Freund die Be- und Entkleidung des Girls eindeutig zur Kenntnis nahm, dabei unterhielten sich die beiden jedoch ganz unbefangen. Ich aber schämte mich, wußte nicht richtig warum, konnte nicht verstehen, wieso sich die hübschen jungen Tänzerinnen nicht schämten. In Schwimmanstalten zeigte man sich damals nur in mehr oder minder hochgeschlossenen einteiligen Badekostümen, und nun so etwas!
»Was ist los?« fragte Ted belustigt. »Du scheinst ja auf einmal ganz verstört zu sein.«
»Das kommt wahrscheinlich von dem schweren Parfum, das hier plötzlich in der Luft ist«, sagte ich und bemühte mich, eine tunlichst gleichgültige Miene aufzusetzen, »die Mistinguette ist wirklich fabelhaft.«
Um nichts in der Welt hätte ich zugegeben, daß mich diese erste Begegnung mit dem »sündhaften Paris« ganz schön aus der Fassung brachte.Komisch, Virginia? Eine harmlos lächerliche Episode? Gewiß, aber bedenke, daß sie sich in einer Zeit abgespielt hat, in der Alkohol und Zigaretten die schlimmsten Laster waren. Von Drogensüchtigen war in den europäischen Medien kaum etwas zu lesen und selbst auf den Straßen großer Städte nichts zu sehen. Sie waren noch keine Massenerscheinung. Obwohl an manchen Ecken und Enden der Welt, etwa im marokkanischen Casablanca – aber dorthin kommen wir erst.
Dann kam ein Tag, an dem wieder einmal eine grundlegende Änderung für mich eintrat. Ich zog um, verließ Versailles und die Kischs und wurde beinahe eine wirkliche Pariserin, zumindest was den Wohnort anbelangte.
Im Laufe weniger Wochen traf in der französischen Hauptstadt eine Reihe tschechischer und slowakischer Intellektueller und Künstler ein, mit der Illusion, hier ähnlich wie während des Ersten Weltkrieges die Zeit der aufgezwungenen Emigration zu verbringen und für die Neuerrichtung einer freien tschechoslowakischen Republik zu wirken. Ich wurde als verlassenes Prager Blümchen, als einziges junges Mädchen unter den zum großen Teil bereits arrivierten und bekannten Persönlichkeiten, geradezu liebevoll aufgenommen. Weil mit einem längeren Aufenthalt in Frankreich gerechnet wurde, wollte diese Künstlergruppe in Paris ein Haus mieten, denn in den bescheidenen Hotelquartieren fühlte man sich in seiner Tätigkeit eingeschränkt, und etwa vom Malen konnte man unter diesen Umständen bestenfalls träumen. So kam die Idee der Gründung eines Maison de la culture tchécoslovaque auf.
»Sowie wir etwas Anständiges gefunden haben, ziehst du mit uns ein«, sagte der Spiritus rector des ganzen Projektes, der Schriftsteller, Maler und hervorragende Zeichner – später auch Diplomat – Adolf Hoffmeister, der schon seit den zwanziger Jahren mit den Dadaisten und Surrealisten, Malern und Dichtern in Frankreich befreundet war. Ein lebensfroher, phantasievoller und liebenswürdig unruhiger Geist.
»Aber ich habe ja keine Aufenthaltsbewilligung für das Departement Seine«, beunruhigte ich mich.
Hoffmeister winkte großzügig ab. »Mach dir keine Sorgen, das schaffen wir schon irgendwie. Außerdem bricht der Krieg bald aus, und dann wird man auch hier andere Probleme haben.«
Diese Annahme erwies sich später in der Tat als
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