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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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uns zu Rousseau.«
    Manchmal, ging es mir da durch den Kopf, manchmal war die Emigration gar nicht so schlecht.
    Eine beinahe beschwingte Stimmung erfaßte mich, wenn ich am Morgen mit dem elektrischen Zug nach kaum einem halben Stündchen in Paris eintraf, ins lateinische Viertel lief, unterwegs an einem Kiosk alle erhältlichen Zeitungen aus dem Protektorat Böhmen und Mähren kaufte und mich mit ihnen bei einer Tasse Café crême an einem Tischchen auf dem Boulevard St. Germain niederließ. Ich hatte eine lose Zusammenarbeit mit der Agence France Presse erworben, für die ich die Protektoratszeitungen durchackern und Erwähnenswertes in Kurzberichte zusammenfassen sollte. Mein tägliches Pensum waren mindestens dreißig Zeilen, ich konnte aber auch mehr abliefern. Das Honorar betrug einen Franc pro Zeile. In meinerMansarde in Versailles hatte ich einen Papierstreifen an der Wand befestigt und notierte dort jeden Tag die produzierte Zeilenanzahl. So konnte ich am Samstag feststellen, wieviel ich in der eben beschlossenen Woche verdient hatte und was ich mir in diesen Tagen leisten oder nicht leisten konnte. Von der Kaffeehausterrasse aus war mir aufgefallen, daß manche Pariserinnen im Knopfloch ihres klassischen französischen Kostüms ein frisches Blümchen angesteckt hatten. Das fand ich ungemein chic und ahmte es – wenn bei Kasse – sofort nach.
    »Du siehst ja schon toll pariserisch aus«, bemerkte Franz Carl Weiskopf, mein einstiger Chefredakteur, eines Tages anerkennend. So etwas hörte ich gern, zugleich versetzte es mir jedoch einen Stich ins Herz. Ich genoß Paris, während zu Hause ... Damals, kurz vor Kriegsanfang, war das Schlimmste zwar noch nicht ausgebrochen, aber schlimm genug war das Leben im besetzten Prag schon. Dessen war ich mir voll bewußt, wurde ja auch bei meiner Arbeit laufend damit konfrontiert. Jung, wie ich war, unterlag ich dennoch stets von neuem dem Charme und Zauber der lebensfrohen französischen Metropole.
    Das gestaltete sich manchmal sogar ein wenig kurios. Ein amerikanischer Journalist, der die stürmische Entwicklung in der Tschechoslowakei vor dem sogenannten Münchner Diktat, die von Hitlerdeutschland aus dirigierten mörderischen Überfälle im Grenzgebiet Westböhmens und die gespannte, den Untergang bereits verspürende Atmosphäre in Prag in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 miterlebt hatte, schaltete auf seinem Heimweg in die USA einen kurzen Aufenthalt in Paris ein und tauchte eines Tages bei mir auf.
    »Wie geht es dir hier, und was hast du schon alles kennengelernt?« fragte er mich, als wir zusammen bei einer Tasse Kaffee im lateinischen Viertel in der Sonne saßen.
    »Coca-Cola«, antwortete ich prompt, »die trinke ich gerade zum erstenmal.«
    Vor mir stand ein großes Glas mit diesem Getränk. Erholte seine Kamera hervor und knipste mich bei meinem »historischen ersten Schluck«. Diese Aufnahme sandte ich meiner damals noch in Prag lebenden Mutter, um sie zu beruhigen und vorzuführen, wie gut es mir im fernen Paris ging. Der Effekt war allerdings entgegengesetzt. Mutter hielt das hohe Glas mit dem dunklen Inhalt für eine Menge Alkohol und beschwor mich in ihrem nächsten Brief, derartigen Lastern in Frankreich unbedingt aus dem Weg zu gehen.
    »Hast du auch schon etwas vom Pariser Nachtleben gesehen?« erkundigte sich mein amerikanischer Kollege weiter. Als ich verneinte, meinte er: »Dann müssen wir das schleunigst nachholen. Von der Mistinguette hast du schon gehört?«
    Das hatte ich, denn diese Berühmtheit des Pariser Nachtlebens war auch in Prag berühmt.
    »Gut, dann gehen wir heute abend ins Moulin Rouge, dort wirst du sie sehen und hören.«
    Moulin Rouge, die Rote Mühle, das sagenhafte Nachtlokal. Toll, freute ich mich. Der Ted aus den USA war ein verläßlicher Begleiter, ein bißchen Sorge machte mir nur meine Garderobe, denn ich hatte keine Ahnung, was man für den Besuch eines solchen Etablissements anzieht. Da meine Auswahl jedoch recht beschränkt war, erschien ich wie meistens in meinem dunkelblauen Kostüm.
    »Gut siehst du aus«, bemerkte Ted zufrieden, »also komm, ich habe für uns einen Tisch bestellt.«
    Als ich an dem reservierten Tisch im Moulin Rouge Platz nahm, kam ich mir schon fast wie eine Weltdame vor. Dieses erhabene Gefühl verließ mich freilich bald, als mir der Kellner eine Weinkarte hinhielt, mit der ich nichts anzufangen wußte. Mein Begleiter bestellte eine Flasche Sekt. Dabei fiel mir die Kameliendame ein. Das

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