Zu keinem ein Wort
erstehen konnte, womit ich ihr eine kleine Freude machen konnte - ein Spielzeug oder ein Bild oder eine SüÃigkeit - dann schenkte
ich es ihr und freute mich ebenso darüber wie sie. Jutta selbst wurde für mich zu einem Symbol der heilen Welt.
Onkel Isidor und Tante Rosa, die mehr und mehr Kinder im Heim aufnehmen mussten, taten ihr Bestes, unsere Tage so unbeschwert wie möglich zu gestalten. Gleichzeitig bemühten sie sich immer intensiver um Genehmigungen zur Auswanderung für uns, vor allem nach Palästina. Es war anfangs nicht die deutsche Regierung, die die Ausreise verweigerte, im Gegenteil, immer wieder wurde uns drauÃen entgegengerufen: Haut doch ab nach Palästina! Es waren die Engländer, die in Palästina damals als Mandatsmacht herrschten und nur sehr begrenzt weitere Juden einreisen lieÃen, um es sich nicht mit den dort lebenden Arabern zu verscherzen. Auch andere Länder, wie die Schweiz oder die USA, nahmen nur wenige jüdische Einwanderer auf.
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Viele Wände in den Zimmern und selbst im groÃen Speisesaal des Heims waren mit beinah lebensgroÃen Märchenfiguren bemalt. Oft standen Jutta und ich fasziniert vor diesen Malereien und Jutta zeigte mit dem Finger und fragte: »Cilly, wer ist das?«
Und ich antwortete: »Das ist Schneewittchen.«
Dann gingen wir drei Schritte weiter und Jutta fragte: »Und das?«
»Das ist Aschenputtel.«
Besonders gefiel ihr eine Wand, auf der die Heinzelmännchen herumwuselten. »Gibt es wirklich Heinzelmännchen, Cilly?«
»Na klar!«, antwortete ich ernsthaft. Weil ich sonst
fast nie so ernst sprach, mussten wir plötzlich beide laut loslachen.
»Also nicht!«, rief Jutta.
»Doch!«, entgegnete ich. »Sie kommen aber nur nachts, wenn du schläfst.«
Sie sah mich zweifelnd an und meinte dann skeptisch: »Ich glaube, die schlafen dann auch. Die sind ja noch viel kleiner als ich.«
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Irgendwann drang der Schrecken von drauÃen dann doch in unsere Welt. Er war einfach nicht aufzuhalten, nicht zu besänftigen mit Märchen und SüÃigkeiten.
Es begann damit, dass eines Tages plötzlich Polizei ins Haus kam und eine unserer christlichen Dienstmädchen vor unseren Augen verhaftet wurde. Das heiÃt, wir hatten uns sogar mit dem Gesicht zur Wand stellen müssen, als die Männer unser und noch ein anderes Zimmer durchsuchten. Aber wir schielten doch aus den Augenwinkeln, weil wir unbedingt wissen wollten, was sie suchten und warum sie das Mädchen so grob behandelten und schlieÃlich wie eine Verbrecherin abführten.
Tante Ella hatte sich den Polizisten zweimal in den Weg gestellt und versucht, sie zurückzuhalten. »Meine Herren!«, rief sie immer wieder, »hier sind Kinder! Was machen Sie denn? Meine Herren, ich bitte Sie!« Onkel Isidor war an diesem Morgen nicht da. Aber ob er was hätte ausrichten können?
Als sie weg waren, bestürmten wir Tante Ella: »Was hat das Dienstmädchen denn gemacht?« Ich dachte immer nur: Und wenn sie das nächste Mal Lisa holen?
Tante Ella gab eine unmissverständliche Antwort: »Gar nichts hat sie gemacht! Die Polizisten haben sich schlecht betragen.« Aber damit wollten wir uns nicht zufrieden geben. Als Onkel Isidor heimkam und mit Tante Ella gesprochen hatte, bedrängten wir ihn mit unseren Fragen. Endlich sagte er: »Sie hat angeblich einen Freund, der Jude ist. Und das ist ab jetzt verboten in Deutschland.« 2 Ich überlegte lange, ob es für junge Mädchen verboten war, einen Freund zu haben, oder nur, wenn dieser Freund Jude war. Auch Edith war nicht sicher. Aber wir wollten uns nicht blamieren und hörten auf zu fragen. Ich nahm mir vor, Lisa darauf anzusprechen.
Dazu kam es aber leider nicht mehr. Denn wenige Tage nach diesem Vorfall mussten sich alle christlichen Dienstmädchen und anderen nichtjüdischen Hausangestellten von uns verabschieden, weil sie nicht mehr bei Juden arbeiten durften. »Das gleiche Gesetz!«, sagte Mutter bitter. Sie wusste, wie viel Arbeit jetzt auf sie zukommen würde.
Einige der Mädchen weinten beim Abschied. Alles ging so schnell. Onkel Isidor und Tante Rosa standen beim Portal im Hof und gaben jeder persönlich die Hand und bedankten sich für die vielen Jahre, die die Mädchen für das Haus, aber vor allem für uns Kinder gearbeitet hatten.
Als Lisa an der Reihe war, riss ich mich von Mutter los und
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