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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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bestellen. Einen Moment später kam sie mit einem ernsten Gesicht wieder heraus und sagte leise: »Hier wollen wir nichts trinken!« Erst jetzt fiel mir auf, dass alle anderen Gäste uns unfreundlich musterten. Am Eingang des Lokals stand ein Pappschild, auf das jemand von Hand in Druckbuchstaben geschrieben hatte: »JUDEN UNERWÜNSCHT!« Keiner von uns hatte es vorher bemerkt.
    Â 
    Kurz darauf begann es auch auf dem Weg zur Schule. Inzwischen besuchte ich die Samson-Raphael-Hirsch-Schule gleich gegenüber vom Tiergarten. Immer öfter lauerten uns jetzt Schüler von umliegenden Schulen auf. Schon vor 1933 hatten die geschrien: »Jud - scheiß in die Dutt!« Und wir hatten zurückgerufen: »Christ - scheiß in die Kist!« Aber jetzt fingen sie auch an zu
schubsen und zu schlagen. Meistens waren es ältere Jungen, da hatten wir jüngeren Mädchen keine guten Karten. Mit meiner Freundin Edith überlegte ich immer neue Strategien, wie wir sicher von der Schule zurück ins Heim kommen könnten.

    Eine Schülerzeichnung aus der Samson-Raphael-Hirsch-Schule aus dem Jahr 1929. Der Schüler lässt die Tiere aus dem nahegelegenen Zoo freundliche Worte sagen.
    Mutter riet: »Wenn die hinter dir her sind, dann stell dich einfach vor irgendein Wohnhaus und ruf laut: ›Mama, komm runter, schnell!‹ Dann werden die schon abhauen.«
    Â»Gute Idee!«, fand Edith.

    Kaum hatte ich am nächsten Tag das Schulgebäude mit ihr verlassen, als schon wieder vier Jungen, höchstens ein oder zwei Jahre älter als wir, uns den Weg versperrten.
    Â»Ihr stinkt!«, rief der Kleinste von ihnen.
    Edith und ich sagten nichts. Wir gingen nur weiter nach links auf dem Bürgersteig, um irgendwie an ihnen vorbeizukommen. Da hielt mich der Größte von ihnen am Arm fest und meinte grinsend: »Pack deinen Dreck - dann biste weg!« Die anderen lachten.
    Ich wusste nicht, was daran komisch sein sollte. Weder stanken Edith und ich, noch waren wir dreckig. Da nahm ich all meinen Mut zusammen und schrie: »Ihr seid so blöd! Und dann noch feige - vier gegen zwei!«
    Plötzlich grinste der Große nicht mehr: »Willst wohl auch noch frech werden, was?« Und schon hatte er mir eine schallende Ohrfeige verpasst. Ich fühlte, wie meine Wange zu glühen begann. Edith schaute nur zu Boden und sagte nichts. Dann packte sie mich mit einem Mal am Ärmel und riss mich mit sich zur Mitte der Stra ße. Ein Auto bremste quietschend unmittelbar vor uns. Der Fahrer hupte und schrie uns etwas durch die Scheibe hinterher. Aber Edith und ich rannten einfach weiter, so schnell wir konnten. Wir liefen ohne anzuhalten bis zum Eingang unseres Waisenhauses. Direkt hinter dem Tor auf dem Hof blieben wir schwer atmend stehen.
    Â»Wenn der Messias kommt, wird es denen schlecht ergehen!«, keuchte Edith. Daran hatte ich bisher noch gar nicht gedacht. Edith hatte oft gute Einfälle.
    Â»Wir haben gar nicht probiert, uns vor ein Haus zu
stellen und nach einer Mutter zu rufen«, meinte sie, als wir wieder zu Atem gekommen waren, aber immer noch im Hof standen und uns den Schweiß aus dem Gesicht wischten. Den Handabdruck des Jungen spürte ich noch immer auf der Wange.
    Â»Meinst du, das hätte die beeindruckt?«, fragte ich zweifelnd.
    Â»Weiß nicht«, erwiderte sie unsicher.
    Wir beschlossen, auf dem Schulweg von nun an so weit wie möglich in der Mitte der Straße zu gehen, weil wir dann am besten weglaufen könnten, wenn uns wieder christliche Schüler in die Quere kämen. Den Erwachsenen wollten wir nicht jedes Mal von unserer Angst auf dem Schulweg erzählen. Sie waren danach nur ebenfalls traurig, aber konnten offensichtlich selbst nicht viel machen. Ich fragte Mutter an jenem Abend nur, ob sie nicht doch mal unseren Verwandten in der Tschechoslowakei schreiben könne. Nur um sich zu erkundigen, wie das Leben dort so sei.
    Ein kleiner Trost für mich war, dass Jutta, meine geliebte kleine Schwester, die zunehmende Bedrohung außerhalb des Heims weniger wahrzunehmen schien als die meisten von uns älteren Kindern. Sie litt mehr darunter, dass sie als Kleinere von älteren Mädchen im Heim oft geärgert wurde. Wenn ich konnte, habe ich sie dagegen immer in Schutz genommen und auf sie aufgepasst. Manchmal erzählte ich ihr Märchen oder Sagen vor dem Einschlafen, in denen immer die Guten siegten. Und wenn ich etwas fand oder

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