Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Gewicht auf das gute Bein zu verlagern. Sie springt aus dem Lieferwagen, läuft auf ihn zu und stützt ihn.
»Ich bin einfach gestürzt«, erzählt er ihr keuchend. »Es war das Allerblödeste, das ich je in meinem Leben getan habe.« Dann fällt ihm ein, sie zu fragen, wie sie hergekommen ist.
»Geflogen bin ich nicht«, sagt sie.
Sie ist mit dem Auto gekommen, sagt sie – sie redet, als hätte sie das Autofahren nie aufgegeben –, sie ist mit dem Auto gekommen, hat es aber oben an der Straße stehen lassen.
»Das ist viel zu leicht für diesen Boden«, sagt sie. »Ich dachte, ich würde stecken bleiben. Wäre ich aber nicht, der Schlamm ist hart gefroren.«
»Ich konnte den Lieferwagen sehen«, sagt sie. »Also bin ich einfach draufzugegangen, hab ihn aufgeschlossen und mich reingesetzt. Ich dachte mir, du wirst bald zurückkommen, bei dem Schneefall. Aber dass du es auf Händen und Knien tust, auf den Gedanken bin ich nicht gekommen.«
Der Spaziergang oder vielleicht die Kälte hat ihr Gesicht aufgehellt und ihre Stimme gekräftigt. Sie kniet nieder und schaut sich sein Fußgelenk an, dann sagt sie, dass es geschwollen ist.
»Hätte schlimmer kommen können«, sagt er.
Sie sagt, ausgerechnet diesmal hat sie sich keine Sorgen gemacht. Dieses eine Mal hat sie es nicht getan und hätte es tun müssen. (Er verkneift sich, ihr zu sagen, dass sie sich schon seit Monaten offenbar um gar nichts mehr Sorgen gemacht hat.) Sie hat keine einzige Vorahnung gehabt.
»Ich bin nur hergekommen, weil ich dir davon erzählen wollte und es gar nicht abwarten konnte«, sagt sie. »Von der Idee, die ich hatte, als die Frau mich bearbeitet hat. Dann habe ich dich kriechen sehen. Und ich dachte:
Oh, mein Gott
.«
Welche Idee?
»Ach, die«, sagt sie. »Also ich weiß nicht, was du davon hältst. Ich erzähle es dir lieber später. Wir müssen erst dein Fußgelenk versorgen.«
Welche Idee?
Ihre Idee, dass die Firma, von der Percy gehört hat, gar nicht existiert. Percy hat Gerede über irgendwelche Fremden gehört, die eine Genehmigung zum Abholzen erhalten haben. Was er gehört hat, drehte sich immer nur um Roy selbst.
»Denn dieser alte Eliot Suter ist ein Großmaul. Ich kenne diese Familie, seine Frau war Annie Pooles Schwester. Er geht rum und prahlt mit dem Geschäft, das er gemacht hat, bauscht es noch gehörig auf, und schwuppdiwupp, wo sind wir? Beim River Inn und hundert Klaftern pro Tag. Ein Mann sitzt beim Bier, belauscht einen anderen, der beim Bier sitzt, und schon haben wir’s. Und du hast doch so was wie einen Vertrag – ich meine, du hast doch eine Abmachung …«
»Es mag ja Quatsch sein …«, sagt Roy.
»Ich wusste, dass du das sagst, aber denk mal drüber nach …«
»Es mag ja Quatsch sein, aber ich hatte vor ungefähr fünf Minuten die gleiche Idee.«
Und das stimmt. Das kam ihm in den Kopf, als er zu dem Bussard hochsah.
»Na siehst du«, sagt Lea mit zufriedenem Lachen. »Alles, was auch nur im Entferntesten mit dem Hotel zu tun hat, daraus wird gleich eine große Geschichte. Eine Geschichte, in der’s ums große Geld geht.«
Das war’s, denkt er. Was er gehört hat, drehte sich um ihn selbst. Er selbst ist die Ursache von diesem ganzen Buhei.
Der Bulldozer kommt nicht, die Männer mit den Kettensägen strömen nicht zusammen. Esche, Ahorn, Buche, Eisenholz, Kirsche, sie sind ihm alle sicher. Erst einmal alle sicher.
Lea ist außer Atem von der Anstrengung, ihn zu stützen, bringt aber heraus: »Große Geister denken gleich.«
Das ist nicht der richtige Augenblick, um die Veränderung in ihr zur Sprache zu bringen. Ebenso wenig, wie man jemandem Glückwünsche zurufen würde, der gerade oben auf einer Leiter steht.
Er hat sich den Fuß gestoßen, als er sich – mit Leas Hilfe – auf den Beifahrersitz des Lieferwagens hievte. Er stöhnt auf, und es ist ein anderes Stöhnen, als er es ausstoßen würde, wenn er allein wäre. Nicht, dass er den Schmerz dramatisieren möchte, nur, dass er diesen Laut wählt, um ihn seiner Frau zu beschreiben.
Oder ihn seiner Frau sogar darzubringen. Denn er weiß, er empfindet nicht ganz das, was er für den Fall, dass sie ihre Vitalität zurückgewinnt, von sich erwartet hat. Und es könnte sein, dass er dieses Geräusch von sich gibt, um den Mangel zu verdecken oder ihn zu entschuldigen. Allerdings ist es ganz natürlich, dass er ein wenig auf der Hut bleibt, da er nicht weiß, ob das nun von Dauer ist oder nur ein Strohfeuer.
Aber sogar wenn
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