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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nie, seit er den Kinderschuhen entwachsen war, einen Salon oder einen Empfang besucht hatte, wo ihm das widerfahren war. Auch in Paris trat das nicht ein. Nicht, dass er in Sonjas Glanz dort völlig unsichtbar blieb, allerdings fand er nur die übliche Aufmerksamkeit. Als ein Mann von soliden Verdiensten und beachtlichem Ruf, körperlich und intellektuell großzügig ausgestattet, dazu begabt mit flinkem Witz und gewandtem männlichen Charme. Während sie ein völliges Novum war, eine entzückende Abnormität, eine Frau mit mathematischer Begabung und weiblicher Schüchternheit, ganz bezaubernd, dabei mit einem unter ihren Locken höchst unkonventionell ausgestatteten Hirnkasten.
    Er schrieb aus Beaulieu und lehnte mit kalten, unwirschen Entschuldigungen ihr Angebot ab, ihn zu besuchen, sobald der Trubel vorüber war. Eine Dame halte sich bei ihm auf, schrieb er, die er ihr unmöglich vorstellen könne. Die Dame sei in Not und brauche gegenwärtig seine Fürsorge. Sonja solle nach Schweden zurückkehren, schrieb er; sie müsse dort, wo ihre Freunde sie erwarteten, doch glücklich sein. Ihre Studenten würden sie brauchen, ebenso ihre kleine Tochter. (War das eine Stichelei, der vertraute Vorwurf, dass sie ihre Mutterrolle vernachlässigte?)
    Und am Ende seines Briefes dieser eine schreckliche Satz.
    »Wenn ich Dich lieben würde, hätte ich anders geschrieben.«
     
    Das Ende von allem. Zurück aus Paris mit ihrem Preis und ihrem glitzernden, vergänglichen Ruhm, wieder bei ihren Freunden, die ihr plötzlich nicht mehr bedeuteten als ein Fingerschnippen. Wieder bei den Studenten, die ein wenig mehr bedeuteten, aber nur, wenn sie vor ihnen stand und sich in ihr mathematisches Ich verwandelte, das ihr seltsamerweise immer noch zugänglich war. Und wieder bei ihrer angeblich vernachlässigten, aber unheimlich fröhlichen kleinen Fufu.
    Alles in Stockholm bedrängte sie mit Erinnerungen.
    Sie saß im selben Zimmer mit den Möbeln, die zu solch exorbitanten Kosten über die Ostsee herbeigeschafft worden waren. Mit demselben Diwan vor ihr, der noch vor kurzem seinen üppigen Leib getragen hatte. Und ihren dazu, als er sie geschickt in die Arme nahm. Trotz seiner Größe war er nie ein tapsiger Liebhaber.
    Derselbe rote Damast, auf dem in ihrem alten verlorenen Zuhause bedeutende und unbedeutende Gäste gesessen hatten. Vielleicht hatte Fjodor Dostojewski in seinem beklagenswerten Nervenzustand dort gesessen und sich von Sofias Schwester Anjuta bezaubern lassen. Und natürlich Sofia selbst als das Kind, das der Mutter wenig Freude bereitete und wie üblich Missfallen erregte.
    Derselbe alte Kabinettschrank, auch aus ihrem Heim in Palibino, mit den eingelassenen, auf Porzellan gemalten Porträts ihrer Großeltern.
    Die Großeltern Schubert. Keinen Trost spendend. Er in Uniform, sie in einem Ballkleid, mit Mienen absurder Selbstzufriedenheit. Sie hatten alles erreicht, was sie wollten, mutmaßte Sofia, und hatten nur Verachtung für jene übrig, denen weniger Durchsetzungsvermögen oder Glück beschieden war.
    »Hast du gewusst, dass ich deutsches Blut in den Adern habe?«, hatte sie Maxim gefragt.
    »Natürlich. Wie könntest du sonst solch ein Ausbund an Fleiß sein? Und den Kopf voller imaginärer Zahlen haben?«
    Wenn ich dich lieben würde.
    Fufu brachte ihr auf einem Tellerchen Marmelade und bat sie, ein Kinderkartenspiel mit ihr zu spielen.
    »Lass mich in Ruhe. Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«
    Später wischte sie sich die Tränen aus den Augen und bat das Kind um Verzeihung.
     
    Aber es war nicht Sofias Art, ewig Trübsal zu blasen. Sie überwand ihren Stolz, besann sich auf ihre Stärken und schrieb ihm unbeschwerte Briefe, in der Hoffnung, sie könnten mit ihrer beiläufigen Erwähnung harmloser Vergnügungen – dem Schlittschuhlaufen, dem Reiten – und mit ihrem Eingehen auf die russische und französische Politik dazu angetan sein, ihn zu beruhigen, und ihm vielleicht sogar das Gefühl geben, dass seine Warnung brutal und unnötig gewesen war. Es gelang ihr, eine weitere Einladung nach Frankreich zu ergattern, und so machte sie sich im Sommer, sobald ihre Vorlesungen beendet waren, auf den Weg nach Beaulieu.
    Schöne Zeiten. Auch Missverständnisse, wie sie das nannte. (Später änderte sie das in »Gespräche«.) Frostige Phasen, ernste Zerwürfnisse, weniger ernste, plötzliche Herzlichkeit. Eine stürmische Reise durch Europa, auf der sie sich skandalöserweise ganz offen als Liebespaar

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