Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Gestrüpp trat und hinfiel –, so blöde und ungeschickt war, so schwer zu glauben, dass danach nichts Groteskes auszuschließen war.
Er will sich hochziehen. Beide Knie tun weh – eins von dem Schlag des Stiels und eins von dem Sturz auf den Boden. Er bekommt den Stamm eines jungen Kirschbaums zu packen – an dem er sich den Kopf hätte stoßen können – und zieht sich langsam hoch. Vorsichtig belastet er den einen Fuß und setzt den anderen – den, der ausgerutscht ist und unter ihm eingeklemmt wurde – nur auf den Boden. Gleich wird er auch ihn belasten. Er beugt sich vor, um die Säge aufzuheben, und bricht fast wieder zusammen. Ein Schmerz schießt vom Boden hoch und hört nicht auf, bis er in seinem Schädel angekommen ist. Er lässt die Säge liegen und richtet sich auf, nicht sicher, wo der Schmerz seinen Anfang nahm. Dieser Fuß – hat er ihn belastet, als er sich vorbeugte? Der Schmerz hat sich in dieses Fußgelenk zurückgezogen. Er streckt das Bein, so gut er kann, betrachtet es, dann setzt er sehr vorsichtig den Fuß auf den Boden und belastet ihn probehalber. Er kann den Schmerz nicht fassen. Er kann nicht fassen, dass er derartig weitergehen würde, stark genug, um ihn zu überwältigen. Das Fußgelenk kann nicht nur verdreht sein – es muss verstaucht sein. Ist es womöglich gebrochen? In dem Stiefel sieht es nicht anders aus als das andere, verlässliche Fußgelenk.
Er weiß, dass er den Schmerz ertragen muss. Er muss sich an ihn gewöhnen, um hier hinauszugelangen. Und er versucht es immer wieder, macht aber keine Fortschritte. Er kann das Gelenk nicht belasten. Es muss gebrochen sein. Ein gebrochenes Fußgelenk – sogar das ist sicherlich eine kleinere Verletzung, wie sie sich alte Damen zuziehen, wenn sie auf dem Eis ausrutschen. Er hat Glück gehabt. Ein gebrochenes Fußgelenk, eine kleinere Verletzung. Trotzdem kann er keinen Schritt tun. Er kann nicht laufen.
Ihm wird schließlich klar, um zum Lieferwagen zu gelangen, muss er seine Axt und seine Kettensäge zurücklassen und auf Händen und Knien kriechen. Er lässt sich so behutsam wie möglich hinunter und wuchtet sich herum zur Spur seiner Stiefelabdrücke, die sich jetzt mit Schnee füllen. Er denkt daran, die Jackentasche zu überprüfen, in der seine Schlüssel sind, und vergewissert sich, dass der Reißverschluss zu ist. Er schüttelt seine Mütze ab und lässt sie liegen – der Schirm nimmt ihm die Sicht. Jetzt fällt der Schnee auf seinen bloßen Kopf, ist aber nicht sehr kalt. Sobald er Kriechen als eine Fortbewegungsmethode akzeptiert hat, ist es gar nicht so schlimm – das heißt, es ist nicht unmöglich, auch wenn es ihm schwerfällt, nur auf den Händen und dem guten Knie. Er passt jetzt auf, schleppt sich vorsichtig über das Gestrüpp und durch die Schösslinge, über den buckligen Boden. Sogar wenn er einen kleinen Abhang vor sich hat und hinunterrollen könnte, wagt er es nicht – er muss auf den schlimmen Fuß achten. Er ist froh, dass er nicht durch sumpfige Stellen gewatet ist, und er ist froh, dass er nicht länger gewartet hat, bevor er den Rückweg antrat; der Schnee fällt jetzt dichter und deckt fast seine Abdrücke zu. Wenn er dieser Spur nicht folgen könnte, wäre es schwierig, so tief am Boden zu erkennen, ob er den richtigen Weg einschlägt.
Die Situation, die ihm anfangs so unwirklich vorkam, wird für ihn langsam natürlicher. Wie er sich da auf Händen und Ellbogen und dem einen Knie dicht am Boden voranbewegt, einen Baumstamm daraufhin überprüft, ob er morsch ist, dann auf dem Bauch darüberrobbt, die Hände voll welkem Laub, Dreck und Schnee – er kann die Handschuhe nicht anbehalten, nur mit den kalten, bloßen, zerkratzten Händen vermag er sich auf dem Waldboden voranzutasten und festen Halt zu finden –, das überrascht ihn nicht mehr. Er denkt nicht mehr an seine Axt und seine Säge da hinten, obwohl er sich anfangs beinahe nicht von ihnen trennen konnte. Er denkt kaum noch an den Unfall zurück. Er ist geschehen, egal, wie. Das Ganze kommt ihm überhaupt nicht mehr unglaublich oder unnatürlich vor.
Ein relativ steiler Wall liegt vor ihm, und als er ihn erreicht, legt er eine Verschnaufpause ein, erleichtert, so weit gekommen zu sein. Er wärmt sich die Hände in der Jacke, eine nach der anderen. Aus irgendeinem Grund muss er an Diane in ihrer unkleidsamen roten Skijacke denken, und ihm wird klar, dass ihr Leben eben ihr Leben ist und dass es nicht viel Sinn hat, sich
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