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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Reise.
    Mein Muttermal ist nicht rot, sondern violett. Dunkel in meiner frühen Kindheit, danach ein wenig verblassend, aber nie bis zur Unerheblichkeit, immer das Erste, was man frontal von mir wahrnimmt oder mit Erschrecken feststellt, falls man sich mir von der linken, der sauberen Seite genähert hat. Es sieht aus, als habe jemand Traubensaft oder Farbe über mir ausgekippt, ein großer, dicker Klecks, der sich erst auf meinem Hals zu Tropfen auflöst. Obwohl er meine Nase umläuft, nachdem er ein Augenlid überschüttet hat.
    »Dadurch sieht das Weiße in dem Auge so hübsch und klar aus«, war eine der idiotischen, wenn auch verzeihlichen Behauptungen meiner Mutter mit dem Ziel, dass ich mich selbst bewunderte. Und es geschah etwas Merkwürdiges. Behütet, wie ich war, glaubte ich ihr beinahe.
    Natürlich konnte mein Vater nicht verhindern, dass ich nach Hause kam. Und natürlich schuf meine Existenz eine riesige Kluft zwischen meinem Vater und meiner Mutter. Obwohl es mir schwerfällt, zu glauben, dass es nicht immer eine Kluft gegeben hatte oder wenigstens ein Unverständnis, eine kühle Enttäuschung.
    Mein Vater war der Sohn eines ungebildeten Mannes, der eine Gerberei betrieb und danach eine Handschuhfabrik. Der Wohlstand verflüchtigte sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts, aber das große Haus, die Köchin und der Gärtner waren noch da. Mein Vater ging aufs College, trat einer Verbindung bei, führte das, was man ein fideles Leben nannte, und betätigte sich in der Versicherungsbranche, als die Handschuhfabrik den Bach hinunterging. Er war in unserer Stadt ebenso beliebt wie früher auf dem College. Ein guter Golfer, ein exzellenter Segler. (Ich habe bisher nicht erwähnt, dass wir auf den Klippen über dem Huron-See lebten, in dem viktorianischen Haus, das mein Großvater mit Aussicht auf den Sonnenuntergang erbaut hatte.)
    Zu Hause war die hervorstechendste Eigenschaft meines Vaters eine Fähigkeit, zu hassen und zu verachten. Diese beiden Tätigkeiten fielen sogar oft zusammen. Er hasste und verachtete bestimmte Arten von Essen, Automobilmarken, Musik, Redeweisen, Kleidung, Radiokomikern und später Fernsehgrößen, neben dem üblichen Sortiment an Rassen und Klassen, die zu seiner Zeit gemeinhin gehasst und verachtet wurden (wenn auch vielleicht nicht so gründlich wie von ihm). Die meisten seiner Ansichten wären außerhalb unseres Hauses, in unserer Stadt, bei seinen Segelkumpanen oder seinen alten Kommersbrüdern, kaum auf Widerspruch gestoßen. Es war seine Heftigkeit, denke ich, die eine Unsicherheit hervorkehrte, die auch auf Bewunderung hinauslaufen konnte.
    Nennt die Dinge beim Namen. So sagte man von ihm.
    Natürlich war ein Produkt wie ich eine Beleidigung, der er sich gegenübersah, sobald er seine Haustür aufschloss. Er nahm sein Frühstück alleine ein und kam zum Mittagessen nicht nach Hause. Meine Mutter aß morgens und mittags mit mir zusammen und ein wenig auch abends, den Rest des Abendbrots aß sie mit ihm zusammen. Dann gab es darüber wohl einen Streit, und sie saß beim Abendbrot bei mir, aß aber nur mit ihm zusammen.
    Offensichtlich trug ich nichts zu einer harmonischen Ehe bei.
    Aber wie waren sie je zusammengekommen? Sie war nie aufs College gegangen, hatte sich Geld borgen müssen, um ein Seminar zu besuchen, an dem zu ihrer Zeit Lehrer ausgebildet wurden. Sie hatte Angst vor dem Segeln, stellte sich beim Golfen ungeschickt an, und falls sie schön war, wie manche Leute mir erzählt haben (es ist nicht leicht, dieses Urteil über die eigene Mutter zu fällen), kann ihr Aussehen nicht dem Schönheitsideal meines Vaters entsprochen haben. Er nannte gewisse Frauen Puppen oder später in seinem Leben flotte Käfer. Meine Mutter trug keinen Lippenstift, ihre Büstenhalter gaben sich unaggressiv, und ihre Haare waren zu einer festen Zopfkrone geflochten, die ihre breite weiße Stirn betonte. Ihre Kleidung hinkte der Mode hinterher, fürstlich und ein wenig unförmig – man hätte sie sich ohne weiteres mit einer doppelten Perlenkette vorstellen können, obwohl sie, soweit ich weiß, nie eine trug.
    Was ich vermutlich sagen will, ist, dass ich möglicherweise ein Vorwand war, sogar ein Segen, indem ich ihnen einen gebrauchsfertigen Streitgrund lieferte, ein unlösbares Problem, das sie auf ihre naturgegebenen Unterschiede zurückwarf, was für sie sogar behaglicher gewesen sein mag. In all meinen Jahren in der Stadt bin ich nie jemandem begegnet, der geschieden war, und

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