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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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verunsichert, um zu fragen, ob die Tochter und das Baby mit von der Partie sein würden.
     
    Der Garten ist in schlimmem Zustand. Aber da fühle ich mich wohler als im Haus, das von draußen so aussieht wie immer, sich aber drinnen drastisch verändert hat. Meine Mutter hatte aus dem hinteren Salon ein Schlafzimmer und aus der Speisekammer ein voll ausgestattetes Badezimmer gemacht, und später wurden niedrigere Decken eingezogen, billige Türen eingehängt und grelle Tapeten mit geometrischen Mustern geklebt, den Mietern zu Gefallen. Der Garten hatte keine solchen Veränderungen erdulden müssen, nur Vernachlässigung in großem Stil. Die Stauden kämpfen sich immer noch durch das Unkraut hoch, zerlumpte Blätter, größer als Regenschirme, bezeichnen den Platz eines sechzig oder siebzig Jahre alten Rhabarberbeetes, und ein halbes Dutzend Apfelbäume sind geblieben, sie tragen kleine wurmstichige Äpfel einer Sorte, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann. Die Stellen, die ich freilege, sehen winzig aus, während die Haufen aus Unkraut und Gestrüpp, die ich zusammengetragen habe, riesig wirken. Obendrein muss ich sie auf meine Kosten fortschaffen lassen. Die Stadt erlaubt keine Krautfeuer mehr.
    All das wurde früher von einem Gärtner namens Pete gepflegt. Seinen Familiennamen habe ich vergessen. Er zog ein Bein nach und hielt den Kopf immer zu einer Seite geneigt. Ich weiß nicht, ob er einen Unfall gehabt oder einen Schlaganfall erlitten hatte. Er arbeitete langsam, aber sorgfältig und war mehr oder weniger immer schlechter Laune. Meine Mutter sprach leise und respektvoll mit ihm, schlug aber bestimmte Veränderungen in den Blumenbeeten vor und setzte sie auch durch, obwohl er nicht viel davon hielt. Mich konnte er nicht leiden, weil ich ständig auf meinem Dreirad da fuhr, wo ich es nicht sollte, und mir Verstecke unter den Apfelbäumen baute, und weil er wahrscheinlich wusste, dass ich ihn heimlich den Miesen Pete nannte. Ich weiß nicht, wo ich das herhatte. Aus einem Comicstrip?
    Ein weiterer Grund für seine brummige Abneigung ist mir gerade eingefallen, und es ist seltsam, dass ich nicht früher daran gedacht habe. Wir waren beide gezeichnet, sichtlich mit einem körperlichen Makel behaftet. Man sollte meinen, dass solche Menschen zusammenhalten, aber ebenso häufig tun sie es nicht. Womöglich wird jeder vom anderen an etwas erinnert, das er lieber vergäße.
    Ich bin mir da aber nicht sicher. Meine Mutter hatte alles so arrangiert, dass ich mir die meiste Zeit meines Zustandes gar nicht bewusst war. Sie behauptete, mich zu Hause unterrichten zu müssen, weil ich an einer Bronchienschwäche litte und vor den zahlreichen Keimen, denen man in den ersten Schuljahren ausgesetzt wird, geschützt werden müsse. Ob ihr das irgendjemand glaubte, weiß ich nicht. Außerdem hatte sich die Verbitterung meines Vaters im ganzen Haus so weit ausgebreitet, dass ich sie bestimmt nicht mehr allein auf mich bezog.
    Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, muss ich sagen: Ich denke, meine Mutter tat das Richtige. Die Hervorhebung eines deutlichen Makels, der Spott und die Hänseleien hätten mich zu jung und ohne Rückzugsmöglichkeiten erwischt. Heutzutage ist das anders, und ein derart entstelltes Kind wäre eher der Gefahr von zu viel Fürsorglichkeit und demonstrativer Zuwendung ausgesetzt als von Hohn und Ausgrenzung. So kommt es mir jedenfalls vor. Das Leben jener Zeit bezog viel von seiner Fülle, seinem Frohsinn und seiner Folklore, wie meine Mutter gewusst haben mag, aus reiner Boshaftigkeit.
    Bis vor zwei – oder vielleicht mehr – Jahrzehnten stand noch ein Gebäude auf unserem Grundstück. Ich kannte es als kleine Scheune oder großen Schuppen, in dem Pete seine Gerätschaften aufbewahrte und in den verschiedene Gegenstände, die einmal von Nutzen gewesen waren, gebracht wurden, bis endgültig feststand, was damit geschehen sollte. Es wurde abgerissen, kurz nachdem Pete durch ein energisches junges Paar ersetzt worden war, Ginny und Franz, die ihre eigenen modernen Geräte in ihrem Lieferwagen mitbrachten. Später hatten sie keine Zeit mehr, da sie eine Gemüsegärtnerei betrieben, aber sie stellten ihre halbwüchsigen Kinder zum Rasenmähen zur Verfügung, und an allem anderen hatte meine Mutter das Interesse verloren.
    »Ich habe den Garten einfach losgelassen«, sagte sie. »Es ist erstaunlich, wie leicht es fällt, etwas einfach loszulassen.«
    Um auf dieses Gebäude zurückzukommen – wie

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