Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Lebensunterhalt verdient habe?
Ich wurde Schauspieler. Überrascht? Natürlich habe ich mich am College mit Leuten herumgetrieben, die mit dem Theater zu tun hatten, und in meinem letzten Studienjahr habe ich ein Stück inszeniert. Es gab ständig Witze darüber, wie ich eine Rolle bewältigen würde, indem ich dem Publikum ständig mein heiles Profil zukehrte und notfalls rückwärts über die Bühne ging. Aber solche drastischen Manöver waren gar nicht notwendig.
Zu jener Zeit wurden im Radio regelmäßig Hörspiele gesendet. Das Programm am Sonntagabend war besonders ehrgeizig. Romanbearbeitungen. Shakespeare. Ibsen. Meine Stimme war von Natur aus wandlungsfähig und verbesserte sich mit etwas Übung. Ich wurde angenommen. Anfangs kleine Rollen. Als dann das Fernsehen dem Ganzen ein Ende bereitete, war ich fast jede Woche auf Sendung und einer treuen, wenn auch nie sehr zahlreichen Hörerschaft wohlbekannt. Es gab Briefe, die sich über unflätige Ausdrücke oder die Erwähnung von Inzest beschwerten (wir sendeten auch einige Stücke der alten Griechen). Aber im Großen und Ganzen regnete es nie so viele Vorwürfe auf mich herab, wie meine Mutter befürchtete, wenn sie sich treusorgend jeden Sonntagabend in ihrem Sessel neben dem Radio niederließ.
Dann kam das Fernsehen, und mit der Schauspielerei war es für mich vorbei. Aber meine Stimme leistete mir gute Dienste, und ich bekam eine Anstellung als Ansager, zuerst in Winnipeg, dann in Toronto. Und in den letzten zwanzig Jahren meines Arbeitslebens war ich Moderator einer Musiksendung, die wochentags an jedem Nachmittag zu hören war. Ich traf nicht die Auswahl, wie viele Leute meinten. Mein Musikverständnis ist gering. Aber es gelang mir, eine dauerhafte, beliebte und etwas schrullige Radiopersönlichkeit zu erschaffen. Das Programm erhielt viele Zuschriften. Aus Altenheimen und Blindenanstalten, von Leuten, die regelmäßig lange und eintönige Geschäftsreisen unternehmen mussten, von Hausfrauen, die mitten am Tag mit dem Kochen und Bügeln allein waren, und von Farmern, die in Traktoren saßen und endlose Felder pflügten oder eggten. Aus dem ganzen Land.
Schmeichelhafte Gefühlsergüsse, als ich endlich in den Ruhestand ging. Die Leute schrieben, dass sie sich alleingelassen fühlten und trauerten, als hätten sie einen nahen Freund oder einen Angehörigen verloren. Was sie meinten, war, dass eine bestimmte Zeitspanne an fünf Tagen in der Woche für sie gefüllt worden war. Die Zeit war ihnen zuverlässig und angenehm vertrieben worden, sie waren nicht sich selbst überlassen geblieben, und dafür waren sie rührend dankbar. Und überraschenderweise teilte ich ihre Gefühle. Ich musste auf meine Stimme achtgeben, damit mir die Worte nicht im Halse stecken blieben, als ich einige ihrer Briefe in der Sendung vorlas.
Und doch verblasste die Erinnerung an das Programm und an mich rasch. Neue Bindungen entstanden. Ich brach mit allem, weigerte mich, wohltätige Auktionen zu leiten oder nostalgische Reden zu halten. Meine Mutter war gestorben, nachdem sie ein hohes Alter erreicht hatte, aber ich hatte das Haus nicht verkauft, sondern nur vermietet. Jetzt bereitete ich mich darauf vor, es zu verkaufen, und kündigte den Mietern. Ich hatte vor, selbst dort zu wohnen für die Zeit, die es brauchte, um das Haus und besonders den Garten auf Vordermann zu bringen.
Ich war in jenen Jahren nicht einsam. Außer meinen Zuhörern hatte ich Freunde. Ich hatte auch Frauen. Natürlich spezialisieren sich einige Frauen auf solche Männer, die ihrer Meinung nach aufgerichtet werden müssen – sie haben es darauf abgesehen, sich mit ihnen zum Zeichen ihrer Großherzigkeit zu schmücken. Ich nahm mich vor ihnen in Acht. Die Frau, der ich in diesen Jahren am nächsten stand, war Empfangsdame im Sender, eine nette, vernünftige Person, die ganz allein vier Kinder großzog. Es herrschte eine gewisse Einigkeit, dass wir zusammenziehen würden, sobald das jüngste Kind aus dem Haus wäre. Aber das jüngste Kind war ein Mädchen und schaffte es, ein eigenes Kind in die Welt zu setzen, ohne je von zu Hause fortzugehen, und irgendwie schwand unsere Planung, unsere Beziehung dahin. Wir blieben durch E-Mails in Verbindung, nachdem ich beim Sender aufgehört hatte und wieder in mein Elternhaus gezogen war. Ich lud sie ein, mich zu besuchen. Plötzlich erhielt ich eine Benachrichtigung, dass sie heiraten und nach Irland ziehen werde. Ich war zu überrascht und vielleicht auch zu
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