Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
wurde einer Sonderklasse zugeteilt, die in einem Bau in einer Ecke des Schulgeländes untergebracht war. Bei diesem Bau handelte es sich um das ursprüngliche Schulhaus der Stadt, aber niemand hatte damals Zeit für Lokalgeschichte, und ein paar Jahre später wurde er abgerissen. Daneben war ein eingezäunter Winkel, in dem die Schüler der Sonderklassen die Pause verbrachten. Sie gingen morgens eine halbe Stunde später zur Schule als wir und kamen nachmittags eine halbe Stunde früher heraus. Uns war eingeschärft worden, sie in der Pause nicht zu triezen, aber da sie meistens am Zaun hingen und sich ansahen, was auf dem normalen Schulhof stattfand, konnte es sein, dass einige hinstürzten, johlten und mit Stöcken fuchtelten, um ihnen Angst einzujagen. Ich ging nie zu dieser Ecke, sah Verna kaum. Aber zu Hause musste ich immer noch mit ihr fertig werden.
Zuerst stand sie immer an der Ecke des gelben Hauses und beobachtete mich, während ich so tat, als wisse ich nicht, dass sie da war. Dann trottete sie langsam in den Vorgarten und stellte sich auf die Eingangsstufen von dem Teil des Hauses, der meiner war. Wenn ich hineinwollte, um ins Badezimmer zu gehen oder weil mir kalt war, musste ich so dicht an ihr vorbei, dass ich sie berührte oder riskierte, von ihr berührt zu werden.
Sie konnte länger an einer Stelle verharren als irgendjemand sonst und dabei nur einen einzigen Gegenstand anstarren. Meistens mich.
Ich hatte eine Schaukel, die so an einem Ahornbaum hing, dass ich entweder aufs Haus sah oder auf die Straße. Das heißt, ich musste entweder sie ansehen oder zulassen, dass sie meinen Rücken anstarrte und eventuell ankam, um mir einen Schubs zu geben. Nach einer Weile beschloss sie, das zu tun. Sie schob mich immer schief an, aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass ihre Finger sich in meinen Rücken bohrten. Durch meinen Mantel, durch meine übrigen Sachen diese Finger wie viele kalte Rüssel. Ein weiterer Zeitvertreib von mir war, ein Laubhaus zu bauen. Ich harkte die Blätter, die von dem Ahornbaum mit der Schaukel gefallen waren, zusammen und trug einen Armvoll nach dem anderen dahin, wo ich sie haben wollte, ließ sie fallen und arrangierte sie zu einem Hausgrundriss. Hier war das Wohnzimmer, da die Küche, da ein großer weicher Haufen für das Bett im Schlafzimmer und so weiter. Ich hatte diese Beschäftigung nicht erfunden – Laubhäuser noch geräumigerer Art wurden in jeder Pause auf dem Schulhof der Mädchen ausgelegt und sogar möbliert, bis schließlich der Hausmeister alle Blätter zusammenharkte und verbrannte.
Anfangs beobachtete Verna nur, was ich tat, aus den zusammengekniffenen Augen und mit einem Ausdruck, der mir vorkam wie überlegene (wie konnte sie sich für überlegen halten?) Verwunderung. Dann kam der Augenblick, als sie näher kam und einen Armvoll Blätter aufhob, die wegen ihrer Unsicherheit oder Ungeschicklichkeit zu allen Seiten herunterrieselten. Und sie hatte sie nicht aus dem Vorratshaufen genommen, sondern aus der Mauer meines Hauses. Sie trug sie ein kurzes Stück und ließ sie fallen, warf sie hin, und das mitten in eins meiner sauberen Zimmer.
Ich schrie sie an, das zu lassen, aber sie beugte sich vor, um ihre verstreute Last wieder aufzuheben, konnte jedoch die Blätter nicht festhalten, also warf sie sie einfach hoch, und als alle auf dem Boden lagen, fing sie an, sie wie blödsinnig mit den Füßen hierhin und dorthin zu stoßen. Ich schrie sie immer noch an, damit aufzuhören, aber das blieb wirkungslos, oder sie hielt es für Anfeuerung. Also senkte ich den Kopf, rannte auf sie los und rammte ihn ihr in den Bauch. Ich trug keine Mütze, und so gerieten meine Haare in Berührung mit dem Mantel oder der Wolljacke, die sie anhatte, und es kam mir so vor, als hätte ich Borsten auf der Haut eines dicken, harten Bauches berührt. Laut jammernd lief ich die Stufen zum Haus hinauf, und als meine Mutter die Geschichte hörte, machte sie mich noch wütender, indem sie sagte: »Sie will doch nur spielen. Sie weiß nicht, wie man spielt.«
Als der nächste Herbst kam, wohnten wir in dem neuen Bungalow, und ich brauchte nie mehr an dem gelben Haus vorbeizugehen, das mich so sehr an Verna erinnerte, als habe es ihre schmale Verschlagenheit, ihr bedrohliches Blinzeln angenommen. Die gelbe Farbe schien die Farbe der Beleidigung zu sein, und die Haustür, die sich nicht in der Mitte befand, gab dem Haus etwas Missgebildetes.
Der Bungalow befand sich
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