Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
weil das die wilden Tiere verscheuchen konnte. (Ich bin von Haus aus Anthropologin, wenn auch keine besonders eifrige.) Ich habe diese weiblichen Vertraulichkeiten beobachtet, aber nie daran teilgenommen. Jedenfalls nicht richtig. Manchmal habe ich es vorgetäuscht, weil es erforderlich zu sein schien, aber die Frau, mit der ich mich anfreunden wollte, witterte stets meine Verstellung, geriet in Verwirrung und blieb auf der Hut.
Männern gegenüber war ich in der Regel nicht so misstrauisch. Sie erwarten solchen Austausch nicht und bringen selten echtes Interesse auf.
Die Intimität, die ich meine – unter Frauen –, ist nicht erotisch oder prä-erotisch. Die habe ich auch erlebt, vor der Pubertät. Auch da gab es vertrauliche Geständnisse, wahrscheinlich erlogene, die unter Umständen zu Spielen führten. Eine heiße, kurzfristige Erregung, mit oder ohne Reizung der Genitalien. Gefolgt von Feindseligkeit, Verleugnung, Ekel.
So erzählte Charlene mir von ihrem Bruder, allerdings mit echtem Abscheu. Von dem Bruder, der jetzt bei der Marine war. Auf der Suche nach ihrer Katze ging sie in sein Zimmer, wo er es gerade mit seiner Freundin trieb. Die beiden merkten gar nicht, dass sie sie sah.
Sie sagte, sie klatschten, als er sich rauf und runter bewegte.
Du meinst, sie klatschten aufs Bett, sagte ich.
Nein, sagte sie. Sein Ding klatschte, als es rein- und rausfuhr. Es war sehr dick. Ekelhaft.
Und sein nackter weißer Hintern war voller Pickel. Ekelhaft.
Ich erzählte ihr von Verna.
Bis ich sieben Jahre alt war, wohnten meine Eltern in einem sogenannten Zweifamilienhaus. Das Wort »Doppelhaus« war zu jener Zeit vielleicht noch nicht gebräuchlich, und außerdem war das Haus nicht in gleiche Hälften aufgeteilt. Vernas Großmutter hatte die Zimmer nach hinten raus gemietet und wir die nach vorne raus. Das Haus war hoch, kahl, hässlich und gelb angestrichen. Das Städtchen, in dem wir lebten, war zu klein für regelrechte Wohnviertel, aber ich nehme an, wenn es Unterschiede gab, dann stand das Haus direkt auf der Grenze zwischen anständig und ziemlich heruntergekommen. Ich rede davon, wie es unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg war, am Ende der Weltwirtschaftskrise. (Dieses Wort war uns, soweit ich mich erinnere, unbekannt.)
Mein Vater hatte als Lehrer feste Arbeit, aber wenig Geld. Die Straße verlor sich nach uns zwischen den Häusern jener, die weder das eine noch das andere hatten. Vernas Großmutter musste ein bisschen Geld haben, denn sie sprach verächtlich von Leuten, die von der Fürsorge lebten. Ich glaube, meine Mutter versuchte sie davon zu überzeugen, dass es nicht deren Schuld war, allerdings ohne Erfolg. Die beiden Frauen waren nicht gerade Freundinnen, einigten sich aber über die Benutzung der Wäscheleinen.
Die Großmutter hieß Mrs Home. Ein Mann besuchte sie gelegentlich. Meine Mutter nannte ihn den Freund von Mrs Home.
Mit dem Freund von Mrs Home darfst du nicht reden.
Ich durfte nicht einmal draußen spielen, wenn er kam, also hatte ich ohnehin kaum Gelegenheit, mit ihm zu reden. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie er aussah, obwohl ich mich an sein Auto erinnern kann, einen dunkelblauen Ford V- 8 . Für Autos interessierte ich mich sehr, wahrscheinlich, weil wir keins hatten.
Dann kam Verna.
Mrs Home nannte sie ihre Enkelin, woran es nie einen Grund zu zweifeln gab, aber es gab auch nie ein Lebenszeichen von der Generation dazwischen. Ich weiß nicht, ob Mrs Home wegfuhr und mit ihr zurückkam oder ob der Freund mit dem V- 8 sie ablieferte. Sie tauchte in dem Sommer auf, bevor ich in die Schule kam. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mir ihren Namen sagte – sie war nicht besonders mitteilsam, und ich glaube nicht, dass ich sie danach fragte. Von Anfang an hatte ich eine Abneigung gegen sie, stärker als alles, was ich bis dahin für irgendjemanden empfunden hatte. Ich sagte, dass ich sie hasste, und meine Mutter sagte: Wie kannst du nur, was hat sie dir je getan?
Das arme Ding.
Kinder benutzen das Wort »hassen« in verschiedenen Bedeutungen. Es kann bedeuten, dass sie Angst haben. Nicht, dass sie sich davor fürchten, überfallen zu werden – wie ich es zum Beispiel tat, nämlich von einigen großen Jungs auf Fahrrädern, die einem gerne unter schrecklichem Gejohle den Weg abschnitten, während man auf dem Bürgersteig ging. Es sind nicht so sehr körperliche Verletzungen, vor denen sie sich fürchten – oder vor denen ich mich im Falle von Verna
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