Zu viele Flueche
das Experiment einzudämmen. Er versteckte es hinter starken Zaubern, um zu verhindern, dass es jemals entkam. Und dort wartete es, veränderte sich ständig, wuchs und gestaltete sich. Und mit der Zeit entwickelte es ein eigenes Bewusstsein. In seinem Inneren wurde es sich aller Dinge gewärtig. Und es lernte.«
Das Schloss wurde still. Die Fackeln wurden dunkler.
»Ich habe schreckliche Dinge gelernt, Nessy.«
Eine frostige Brise fegte durch den Saal, und sie zitterte. Lange Zeit herrschte Schweigen.
»Du musst das verstehen«, sagte es leise. »Ich wurde von Margles verdorbener Zauberei genährt. Schwarze Magie erzeugt schwarze Magie. Und ich wurde seit meiner Geburt mit Grausamkeit aufgezogen. Ich kannte wenig anderes. Was hätte ich denn sonst werden können? Was denn anderes als ein entsetzliches, missgestaltetes Grauen?«
»Ich verstehe.« Nessy rieb mit der Hand in kleinen, tröstenden Kreisen über eine Wand, und dies schien das Schloss aufzumuntern.
»An dieser Stelle kamst du ins Spiel. Du warst die Erste, die die Tugend des Mitgefühls zeigte. Dieses Mitgefühl lebt nun in mir, auch wenn es sehr klein ist und meine Grausamkeit und der Wahnsinn stärker sind. Aber ich bin immer noch auf der Suche nach meiner endgültigen Form, und meine vielen Facetten kämpfen alle um die Vorherrschaft. Es ist zwar ein schwieriger Kampf, aber meine Hoffnung ist, dass der fertige Entwurf die Mühe wert war. An diesem Tag in ferner Zukunft kann Die Tür vielleicht endlich geöffnet werden.«
Die Seele des Schlosses schwieg, damit Nessy verarbeiten konnte, was sie gesagt hatte. Die Fackeln führten sie eine Treppenflucht hinauf - bis zum höchsten Turm. Das Geisterschloss glich vollständig dem realen, bis auf die fehlenden Möbel und Fenster. Aber in diesem Raum gab es noch einen Unterschied. Ein kleiner Tisch stand in der Mitte des Raums, und ein geschlossenes Buch lag darauf.
Der Raum verdunkelte sich. Margle wurde durch die Türöffnung hereingespuckt. Er landete ungraziös auf dem Gesicht, wo er stöhnend eine Weile liegen blieb.
»Steh auf!«, befahl das Schloss. »Sei nicht so theatralisch.«
Langsam stand er auf, und Nessy wurde bewusst, was für eine jämmerliche Gestalt aus ihm geworden war. Ohne seine Magie schien er nur ein kleiner, unscheinbarer Mann zu sein. Und seine blanke Seele war nichts als ein bedauernswertes Ding. Sie nahm seinen Arm, um ihn zu stützen.
»Geh weg, Hund!« Er zuckte zurück und verlor stolpernd fast das Gleichgewicht. »Deine Berührung widert mich an!«
»Armer, armer Margle«, sagte das Schloss. »Du wirst es nie lernen. Und ich denke, dasselbe kann man von dir sagen, Nessy. Seltsam, wie sich dieselbe Eigenschaft bei einem so verwerflich und beim anderen so lobenswert auswirken kann.«
Die Stimme seufzte.
»Erzähl ihr von Tiama, Margle.«
Margle knurrte: »Was faselst du da? Es gibt keine Tiama. Sie ist nur eine Gruselgeschichte, die man sich unter Zauberern erzählt.«
»Das war sie. Bis du sie Wirklichkeit werden ließest.«
»Tiama ist ein Zauber«, begriff Nessy und sprach es laut aus. »Sie ist ein Zauber, um Margles Tod zu rächen.«
»Ja, ja, das war der Zweck«, sagte Margle. »Aber er war nicht nach meinem Geschmack. Also habe ich ihn verworfen.«
»Und wo geht all deine ungewollte Magie hin?« Das Schloss lachte laut und anhaltend. »Sie kommt zu mir. Und auch wenn die Befestigungen, die mich hinter Der Tür einschließen, mächtig sind, bin ich doch stark genug geworden, um aus meinem Gefängnis zu sickern. Als Margle starb, fand mein dunkleres Selbst die Kraft, sie zu erwecken. Aber mit einem neuen Ziel. Trotzdem konnte sie ohne ein abschließendes Element nicht entkommen: Damit ist deine Erlaubnis gemeint, Nessy. Die du - ahnungslos - erteilt hast.«
Nessy runzelte die Stirn. Hätte sie Tiama nur am Hauptportal abgewiesen, dann wäre nichts von alledem geschehen.
»Du konntest es nicht wissen. Du hast nur getan, was du für das Beste hieltest. In meiner Seele gibt es ein Gleichgewicht, auch wenn es äußerst schwach ist. Als ein Teil meiner Bosheit ausbrach, schlüpfte mit ihm auch ein Splitter meiner Güte mit hinaus. Es war ein winziges Stück Magie. Gerade genug, um die verzauberte Rüstung des Blauen Paladins und seine Armee zu wecken. Meine gute Hälfte hoffte, Tiama mit diesen Mitteln zerstören zu können, aber ihre physische Gestalt ist lediglich Zweckmäßigkeit. Die bösartige Magie, die sie erweckt hat, kann nicht ungeschehen gemacht
Weitere Kostenlose Bücher