Zu viele Morde
wie Jimmy zuvor. Als Cecil aus dem Affenzimmer hereingestürzt kam, brüllte er immer noch. Dann, ohne Notiz von Cecil zu nehmen, drehte er sich um und rannte aus der Tierstation, die Korridore hinunter, ins Foyer, aus dem Eingang hinaus. Die ganze Eleventh Street hinunter öffneten und schlossen sich seine Beine in einem schmerzenden Laufrhythmus, der erst aufhörte, als er sein Zuhause im ersten Stock eines schäbigen Dreifamilienhauses erreicht hatte.
Celeste Green trank mit ihrem Neffen Kaffee, als Otis in die Küche geplatzt kam. Sie sprangen auf, vergessen war Wesleys leidenschaftliche Tirade über die Verbrechen der Weißen. Celeste holte das Riechsalz, während Wesley Otis auf einen Stuhl setzte. Zurück mit der Flasche, schob sie Wesley grob zur Seite.
»Weißt du, was das Problem mit dir ist, Wes? Du bist immer im Weg! Wenn du Otis nicht ständig in die Quere kämest, würde er dich auch nicht Tunichtgut nennen! Otis, Liebling, wach auf!«
Otis’ Haut war von einem warmen Braunton zu einem teigigen Grau übergegangen, das auch nicht besser wurde, alsihm das Riechsalz unter die Nase geschoben wurde, doch er kam wieder zu sich und riss den Kopf zur Seite.
»Was ist denn los?«, fragte Wesley.
»Ein Stück von einer Frau«, flüsterte Otis.
»Ein was?«, fragte Celeste schroff.
»Ein Stück einer Frau. In dem Kühlraum, bei den toten Ratten. Eine Muschi und ein Bauch.« Er begann zu zittern.
Wesley stellte die einzige Frage, die ihm wichtig war: »War es eine weiße oder eine schwarze Frau?«
»Lass ihn doch damit in Ruhe, Wes!«, brüllte Celeste.
»Keine Schwarze«, antwortete Otis und griff sich an die Brust. »Aber auch keine Weiße. Eine Farbige«, fügte er hinzu, kippte nach vorn vom Stuhl und stürzte zu Boden.
»Ruf einen Krankenwagen! Mach schon, Wes, ruf einen Krankenwagen!«
Aufgrund zweier glücklicher Umstände kam dieser Wagen sehr zügig: Einerseits lag das Holloman-Krankenhaus direkt um die Ecke, und andererseits herrschte morgens um diese Zeit nicht viel Verkehr. Otis Green wurde in den Krankenwagen verfrachtet, wo seine Frau sich neben ihn hockte. Die Wohnung blieb Wesley le Clerc überlassen.
Er blieb allerdings nicht lange dort, nicht mit einer solchen Neuigkeit. Mohammed el Nesr lebte in der Fifteenth Street Nummer 18 und musste umgehend informiert werden. Ein Stück von einer Frau! Nicht schwarz, aber auch nicht weiß. Farbig. Für Wesley hieß das schwarz, genauso wie für alle anderen Mitglieder von Mohammeds Black Brigade. Höchste Zeit, dass die Weißen zur Rechenschaft gezogen wurden für über zweihundert Jahre Unterdrückung, dafür, dass sie schwarze Menschen als Bürger zweiter Klasse behandelten, ja sogar als Wilde ohne unsterbliche Seele.
Nachdem er in Louisiana aus dem Gefängnis entlassen wordenwar, hatte Wesley beschlossen, in den Norden nach Connecticut zu Tante Celeste zu ziehen. Er wollte sich unbedingt einen Namen als bedeutender schwarzer Mann machen, und das war leichter in einem Teil des Landes zu erreichen, wo anders als in Louisiana Schwarze nicht schon für einen schrägen Seitenblick ins Gefängnis geworfen wurden. Außerdem hingen in Connecticut Mohammed el Nesr und seine Black Brigade ab. Mohammed war gebildet, hatte seinen Doktor in Jura gemacht – er
kannte
seine Rechte! Aber aus Gründen, die Wesley jeden Tag im Spiegel sah, war Wesley von Mohammed el Nesr als wertlos eingestuft und abgewiesen worden. Er war ein Plantagen-Schwarzer, ein absoluter Niemand. Was Wesleys Feuereifer nicht gedämpft hatte; er würde sich in Holloman, Connecticut, beweisen! Und zwar so klar und eindeutig, dass eines Tages Mohammed zu
ihm
aufsehen würde, zu Wesley le Clerc, dem Plantagen-Schwarzen.
Cecil Potter hatte bald herausgefunden, was Otis kreischend aus der Tierstation gejagt hatte, aber er war kein Mann, der leicht in Panik geriet. Er rührte den Inhalt des Kühlraums nicht an. Und er verständigte auch nicht die Polizei. Stattdessen nahm er den Hörer ab und wählte die Nummer des Professors, weil er genau wusste, dass Professor Smith selbst um diese Uhrzeit in seinem Büro sein würde. Wirklich Ruhe fand er nur frühmorgens, pflegte er immer zu sagen. Allerdings, dachte Cecil bei sich, wohl kaum an diesem Morgen.
»Ein trauriger Fall«, sagte Lieutenant Carmine Delmonico zu seinem uniformierten Kollegen und nominellen Vorgesetzten Captain Danny Marciano. »Wenn wir keine anderen Verwandten finden, werden die Kinder ins Heim müssen.«
»Bist du sicher,
Weitere Kostenlose Bücher