Zuckerguss (German Edition)
die seit fast vierzig Jahren als Verkäuferin in unserer Bäckerei arbeitet und für mich eine Art Mutterersatz war, weil Mama früher ebenfalls im Laden mit anpacken musste und kaum Zeit hatte, sich nebenher mit einem schwierigen Kleinkind zu beschäftigen.
Als Regine mich erblickt, fällt ihr vor Schreck die Kuchenzange aus der Hand, mit der sie die Hanseaten gerade neu anordnen wollte. »Miriam?«
Ich breite die Arme aus und rufe: »Überraschung!«
»Nein, das glaube ich nicht!« Sie schüttelt den Kopf.
Ich trete näher an den Ladentisch. »Und jetzt rate mal, wonach mir der Sinn steht?«
Regine lacht lauthals, packt den letzten Windbeutel auf ein Pappblech und reicht ihn mir. »Lass ihn dir schmecken, Kleines.«
Genüsslich atme ich den Duft von Kirschen und Sahne ein, ehe ich hineinbeiße. An den Seiten spritzt die Schlagsahne heraus, und ich spüre, wie meine Nasenspitze einen leichten Puderzuckerfilm abbekommt.
Regine schmunzelt bei meinem Anblick. »In dieser Hinsicht bist du wirklich die Alte. Rein äußerlich hast du dich hingegen zu deinem Vorteil verändert.«
»Meine Mutter sieht das nach wie vor anders«, erwidere ich zwischen zwei Bissen. » Miriam, benimm dich bitte wie eine Dame «, zitiere ich den Lieblingssatz meiner Mutter, den ich während meiner Pubertät gebetsmühlenartig zu hören bekam. Geholfen hat es alles nichts. Ich war und blieb eine Rebellin. Feine Dame sein fand ich ätzend. Damals wie heute.
»Sie will nur dein Bestes!«, wirft Regine versöhnlich ein.
»Ja, und wohin das geführt hat, wissen wir beide.«
»Schätzchen, ich wollte nicht …«
»Schon gut.« Ich stecke mir das letzte Stück in den Mund und lecke mir hingebungsvoll die restliche Sahne von den Fingern. Allein dafür hat sich der Besuch gelohnt.
»Nun erzähl mal, was hast du in den letzten Jahren in der großen weiten Welt erlebt?« Regine guckt mich erwartungsvoll an. Sie scheint einen spannenden Abenteuerroman zu erwarten, gekrönt mit Mord und Totschlag.
»Da muss ich dich enttäuschen«, entgegne ich nüchtern und zucke mit den Achseln. »Landkreis Nix-Los beschreibt ziemlich genau mein momentanes Leben.« Von Geschichten wie der mit Stephan muss Regine nicht unbedingt erfahren. Ich schäme mich selbst genug für meinen Hirnaussetzer. Allein bei dem Gedanken schießt mir das Blut in den Kopf.
»Das kann ich schwer glauben!«
»Doch. Mein Leben ist öde«, nicke ich, ehe Regine Zweifel an meiner Glaubhaftigkeit kommen.
»Unsinn! Ich bin mir sicher, du verheimlichst mir was. Besser gesagt jemanden. So einen hinreißenden Märchenprinzen vielleicht?«
»Regine!«
»Hab ich’s doch gewusst!« Sie klatscht die Handflächen zusammen und blickt mich selbstzufrieden an.
Ich rolle mit den Augen. »Du liest zu viele Groschenromane.«
»Ich erkenne die Zeichen.«
»Soso«, kichere ich.
»Leugnen ist sinnlos, junge Dame«, meint Regine unbeirrt. Ich befürchte, dass ich sie so schnell nicht von dieser Schiene abbringen kann. Also gehe ich auf ihr Spielchen ein.
»Ach, Regine. Du hast mich durchschaut, aber mehr möchte ich nicht verraten. Es ist alles noch furchtbar frisch«, erwidere ich verträumt, selbst verwundert über meine Schauspielqualitäten. Bestimmt würde ich mit diesem Talent sofort eine Rolle in einer Seifenoper erhalten. Wo ich mich dann in den Tennislehrer meiner besten Freundin verliebe, ihn anschließend unwissentlich mit meinem eigenen Bruder betrüge und am Ende, einsam und mit einem gebrochenen Herzen, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben komme …
»Muss Liebe schön sein«, seufzt Regine. Langsam kommen mir Zweifel, ob das dieselbe Regine ist, die mich früher in- und auswendig kannte. Aber wie es aussieht, setzt nicht nur bei meiner Mutter, sondern auch bei Regine mit zunehmendem Alter das Schwiegersohn-Phänomen ein: die Angst, dass das Kind (also ich) als alte Jungfer stirbt. Ab einem gewissen Alter (ab 25 Jahren) werden Mütter zu erbarmungslosen Verkuppelungsmaschinen. Da wird schnell mal eine Liebe angedichtet, wo gar keine vorhanden ist. Man meint es schließlich nur gut. Ächz.
»Wie dem auch sei«, entgegne ich, die Klappe der Ladentheke hochhebend, »ich sollte das Gespräch mit meinem Vater nicht länger aufschieben.«
»Wird schon werden«, sagt sie aufmunternd. Sie wischt mir den Rest Puderzucker von der Nase und schiebt mich in Richtung Backstube. Mit jedem Schritt, den ich meinem Vater näher komme, fühle ich mich elender. Mir ist speiübel. Eine ganze
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