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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anica Schriever
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Turnmannschaft übt in meinem Bauch Saltos und Rollen rückwärts.
    Ich luge vorsichtig in die Backstube. Ein langer, heller Raum, von oben bis unten mit beige gemusterten Kacheln gefliest und in der Mitte durch eine Arbeitsplatte in zwei Bereiche getrennt. Links stehen die Knetmaschine, die Rührmaschine und der Abwieger, rechts ein wuchtiger Backtrog, unter dem sich die Pressmaschine für die Brötchen befindet. Der Etagenbackofen ist versteckt in einer Ausbuchtung in der hinteren Wand, daneben der Gärschrank.
    Mein Vater steht vor einem großen Teigbottich und füllt eine schmierige hellbraune Masse ein. Mit geübtem Blick erkenne ich, dass es sich um Sauerteig handelt. Als er den Luftzug im Raum bemerkt, dreht er sich zu mir um und presst bei meinem Anblick missmutig die Lippen zusammen.
    »Hallo, Papa.«
    »Traust du dich auch mal wieder her?«
    »Wie du siehst.«
    Er führt den Knethaken in die Teigschüssel und schaltet das Gerät ein. Das gleichmäßige Ruckeln der Maschine zerrt an meinen ohnehin angespannten Nerven. »Brauchst du Geld?«
    Ich balle die Hände zu Fäusten. Natürlich kann es in seinen Augen nur darum gehen. Was könnte es sonst für einen Grund für meine Anwesenheit geben?
    »Nein«, antworte ich betont gelassen, obwohl es in mir zu brodeln beginnt. Ich werde mich nicht von ihm provozieren lassen. Am Ende fühlt er sich in seiner vorgefertigten Meinung nur bestätigt. Das ist das Letzte, was ich gebrauchen kann.
    »Aus purer Sehnsucht bist du sicherlich nicht gekommen!«
    »Eigentlich wollte ich nur Hallo sagen.«
    »Was du nun getan hast!« Klatsch! Wie eine Ohrfeige fliegt mir die Antwort um die Ohren.
    Aus zusammengekniffenen Augen fixiere ich ihn. Ich spüre, wie sich meine Wut still und heimlich in meinem Bauch ausbreitet. »Wenn du es genau wissen willst, ich bin wegen Mamas Geburtstag hier, aber das glaubst du mir wahrscheinlich sowieso nicht. Schließlich habe ich deiner Ansicht nach kein Rückgrat für solche Dinge.«
    »Werd nicht patzig!« Ja klar, er schaltet wie immer auf stur, wenn es nicht nach seinem Kopf geht, aber ich bin patzig. Ideale Voraussetzungen für ein offenes und ehrliches Gespräch.
    »Falls es dich beruhigt, meinen Besuch hast du Eva zu verdanken. Ich wäre sonst nie im Leben gekommen. Da hätte man mich schon an den Haaren herziehen müssen«, blaffe ich alles andere als diplomatisch zurück.
    »Du bist noch genauso unreif wie damals«, schleudert er mir entgegen, das Gesicht hart wie Beton.
    »Oh, vielen Dank«, presse ich bissig hervor. »Aber kannst du mir erklären, wieso ich früher hätte kommen sollen? Ich konnte es dir doch nie recht machen, egal was ich unternommen habe. In deinen Augen bin ich die ewige Träumerin, die nichts ernst nimmt. Jahrelang habe ich mir diese Vorwürfe von dir anhören dürfen. Und alles nur, weil du nicht einsehen wolltest, dass ich meinen eigenen Weg gehen musste. Eigene Entscheidungen treffen wollte. Weil du der felsenfesten Überzeugung bist, genau zu wissen, was das Beste für mich ist. Ich hatte es so satt! Ich wollte – nein, ich musste! – weg. Um meinetwillen. Nicht um deinetwillen. Oder um dich zu ärgern. Höchstwahrscheinlich glaubst du das immer noch.«
    »Das ist Blödsinn!«
    Ich schüttele traurig den Kopf. »Nein, ist es nicht. Und das weißt du.«
    »Du hast dich vor der Verantwortung gedrückt! Du warst schon immer großartig darin, wenn es darum ging zu rebellieren. Weiß der Kuckuck, woher du das hast. Aber damit musste Schluss sein! Du warst kein Baby mehr, Miriam. Du warst erwachsen und musstest endlich dein Leben in die Hand nehmen. Doch du wolltest dich ja partout nicht festlegen. Lehre, Studium, nichts hast du bis zum Schluss durchgezogen. Aus Angst, dass man dich einengt. Von Anfang an war klar, dass du eines Tages die Bäckerei übernimmst, Miriam – bei deinem Talent. Aber plötzlich hast du keine Lust mehr und führst dich auf wie ein bockiges Kind. Dabei haben wir es alle nur gut mit dir gemeint.«
    »Seit ich klein bin, hieß es, dass ich die Bäckerei übernehmen soll. Aber hast du mich mal gefragt, ob ich das eigentlich will? Natürlich nicht. Ich habe nicht gegen das Erwachsenwerden rebelliert, sondern gegen das Leben, das ich für dich hätte führen sollen!«
    Die Hauptschlagader am Hals meines Vaters pumpt verdächtig. Mir fällt plötzlich auf, wie alt er aussieht. Immer mehr graue Strähnen durchziehen sein schütteres Haar. Die Falten im Gesicht scheinen tiefer geworden zu sein,

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