Zuckerguss (German Edition)
die Augen in den Höhlen wirken etwas verloren, und die einst sonnengegerbte Haut an den Armen ist käsig. Er wirkt abgezehrt von zu viel Arbeit, Stress und Sorgen. Ich weigere mich, mir einzugestehen, dass ich dafür mitverantwortlich bin. Mein Vater hat sich und anderen das Leben wahrlich nie leicht gemacht.
»Was macht dich eigentlich wütender, Vater ?« Ich betone das Wort »Vater« überdeutlich. »Dass ich mich geweigert habe, in die Bäckerei einzusteigen, um mein eigenes Leben zu leben, oder dass ich angefangen habe, Geistes- und Sozialwissenschaften zu studieren?«
»Dein eigenes Leben!«, echot er zynisch. »Dass ich nicht lache! Du bist abgehauen. Hast mich und Alexander, der ohne zu zögern von heute auf morgen deinen Platz eingenommen hat, mit der Verantwortung sitzen gelassen. Weil dir scheißegal ist, was mit der Bäckerei geschieht. Wenn das dein Großvater sehen könnte. Er würde sich im Grabe umdrehen.«
Wenn meinem Vater die Argumente ausgehen, holt er sich grundsätzlich Hilfe von seinem Vater Fritz. Mein Großvater hat die Bäckerei 1947 gegründet. Vor gut achtzehn Jahren übernahm mein Vater sie. In der dritten Generation sollte eines seiner drei Kinder den Betrieb fortführen. Meine Geschwister und ich hatten jedoch andere Pläne. Eva ging nach dem Abitur nach Hamburg, studierte Jura und machte Karriere. Mein kleiner Bruder Alexander wollte in die Fußstapfen meines Großvaters mütterlicherseits treten und Arzt werden. Blieb folglich nur ich übrig. In Papas Augen war ich die geborene Bäckerin, waren meine Finger doch schon als Kleinkind ständig mit Teig beschmiert. Ich sah das allerdings anders und machte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung. Das trägt er mir heute noch nach. Und ich glaube auch nicht, dass er mir je verzeihen kann. Dafür ist er zu stolz – und zu stur.
»Höchstwahrscheinlich hätte mich Großvater besser verstanden als du. Du warst dermaßen verbohrt, dass du gar nicht gemerkt hast, wie unglücklich ich war«, krächze ich.
Mein Vater verschränkt die Arme vor der mit Mehl bestäubten Bäckerschürze. »Im Leben muss man gewisse Opfer bringen.«
»Aber nicht um jeden Preis!«, kreische ich hysterisch. »Du hast mich erdrückt mit deinem Starrsinn! Wieso siehst du das nicht endlich ein?«
Mein Vater schnappt ärgerlich nach Luft. Seine Gesichtsfarbe hat immer mehr Ähnlichkeit mit der einer Tomate. »Willst du mir etwa vorwerfen, dass ich dich aus dem Haus getrieben habe? Dass ich dein Leben ruiniert habe?«
»Das habe ich nie gesagt!«
»Was dann?«
»Vielleicht habe ich damals nicht alles richtig gemacht. Das gebe ich im Gegensatz zu dir gerne zu. Aber verdammt – ich war erst neunzehn! Du wolltest, dass ich von einem Tag auf den anderen mein Leben wegschmeiße.«
Jetzt explodiert mein Vater. » Wegschmeißen? «
»Du weißt genau, wie ich das meine«, sage ich erschöpft. Ich fühle mich ausgelaugt von diesem Gespräch. Seit einer gefühlten Ewigkeit drehen wir uns im Kreis und kommen nicht weiter.
»Mit dieser von dir verabscheuten Bäckerei verdienen wir unseren Lebensunterhalt, Fräulein. Mach dir das endlich bewusst! Die Bäckerei ist unser Leben.«
»Nein. Sie ist dein Leben!«, schreie ich. »Das war sie schon immer. Du willst es nur nicht wahrhaben.«
»Was ich vor allem nicht wahrhaben mag«, greift mein Vater wutschnaubend meine letzten Worte auf, »ist, mit ansehen zu müssen, wie du bis heute nichts aus deinem Leben gemacht hast.«
Nun ist es an mir, ihn fassungslos anzusehen. Ich bin richtiggehend geplättet. Mein Vater hat sich keins meiner Worte zu Herzen genommen. Er glaubt immer noch, dass es mein Lebensplan ist, ihn zu ärgern. Den Kopf voller Flausen. Ziellos in der Gegend umherdümpeln. Alles andere als die Bäckerei zu übernehmen zählt in seinem Universum nicht.
»Du hast mich eben noch nie verstanden!« Lautstark knalle ich die Tür hinter mir zu.
3
Also schön, im Nachhinein betrachtet zählt dieser Abgang nicht zu meinen ruhmreichsten. Aber spätestens als mir mein Vater einmal mehr vorwarf, mein Leben nicht auf die Reihe zu kriegen, riss mir der Geduldsfaden. Ich wusste von Anfang an, dass das Gespräch kein Zuckerschlecken werden würde, nicht nach den ganzen bösen Worten von einst. Allerdings nahm ich an, dass sich zumindest die Wogen halbwegs geglättet hatten. Fehlanzeige. Wir sind genau dort, wo wir vor fünf Jahren waren.
Am liebsten würde ich meinen Koffer packen und auf der Stelle zurück nach Hannover
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