Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anica Schriever
Vom Netzwerk:
»Lass uns jetzt nicht darüber reden.« Ich will mich nicht innerhalb der ersten Stunde mit meiner Mutter streiten. Das kommt früh genug.
    »Na schön«, lenkt sie zu meinem Erstaunen ein, »willst du etwas trinken? Du musst komplett fertig sein, so wie du aussiehst.« Meine Mutter rümpft leicht die Nase und macht ein Gesicht, als ob ich wie ein ganzer Kuhstall stinken würde. »Am besten gehst du dich erst einmal frisch machen.« Ihr Blick wandert von meinem ärmellosen braunen Rundhals-Shirt mit den aufgesetzten Strasssteinen zu den weißen Shorts, und bei den Cowboystiefeln angelangt, zieht sie pikiert die Augenbrauen hoch.
    Mama hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, wenn sie mein Outfit grauenvoll fand. In meiner Pubertät verging kaum ein Tag, an dem sie nicht etwas an meiner Kleiderauswahl zu beanstanden wusste. Einmal waren es die Sandaletten, die unmöglich zu der Jeanshose passten. Ein anderes Mal mokierte sie sich über die neue rote Bluse, die wegen des großzügigen Ausschnitts viel zu ordinär für eine Tochter aus gutem Hause war. Was sollten denn die Leute denken! Ich rebellierte von da an aus Prinzip gegen die Kleidervorstellungen meiner Mutter. Röcke und Kleider verbannte ich aus meinem Schrank, schwarze Jeans und Tops mit Totenkopfmotiven wurden zu meinen neuen Lieblingsstücken. Meinen Eltern standen die Haare zu Berge, und nicht selten startete das tägliche Frühstück mit dicker Luft.
    »Du ziehst dir wohl besser etwas Bequemeres an«, schlägt Mama vor. Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht loszuprusten. Der irritierte Gesichtsausdruck meiner Mutter ist wirklich zum Schreien. »Und danach solltest du zu deinem Vater gehen.«
    »Hmhm.«
    »Er ist nicht mehr böse auf dich, Miriam.« Mama tätschelt mir aufmunternd die Schulter.
    Nachdenklich nage ich an meiner Unterlippe. So ganz kann ich das nicht glauben, dazu sind die Erinnerungen an das letzte Gespräch mit meinem Vater noch zu frisch. Aber wahrscheinlich hat sie recht, besser ich lasse die Vorwürfe gleich über mich ergehen. Dann können wir beim Abendessen zu unserem üblichen missbilligenden Schweigen übergehen.
    Meine Mutter hasst Streit beim Essen, denn das belastet die harmonische Aura des Raumes, wie sie uns vor Jahren erläuterte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht einmal gewusst, dass ein Raum eine Aura besaß! Nach Mamas Ansicht müssen böse Schwingungen am Tisch vermieden werden, da diese sich sonst auf die gesamte Familie übertragen und erst durch eine klärende, spirituelle Reinigung beseitigt werden können. Also durch Räucherkerzen, die die ganze Wohnung verpesten.
    Seit meine Mutter diesen Esoterik-Kurs an der Volkshochschule besucht hat, redet sie an manchen Tagen seltsames Zeug. Immerhin findet mein Vater diesen Blödsinn genauso albern wie ich.
    Mein Zimmer sieht noch genauso aus, wie ich es verlassen habe. Der Schreibtisch ist mit Krimskrams zugemüllt, in den Ecken stapeln sich abwechselnd CDs, Bücher und alte Zeitschriften bis an die Decke. An den Wänden hängen Poster von Audrey Hepburn und der Skyline von Manhattan.
    Ich streife die Schuhe von meinen Füßen und bohre die nackten Zehen in den plüschigen lilafarbenen Teppich. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen, atme den vertrauten und zugleich fremden Duft aus Kindheitserinnerungen und den Lavendel-Mottenkugeln meiner Mutter ein. Irgendwie ein schönes Gefühl, wieder zu Hause zu sein.
    Auf der Suche nach bequemer Kleidung durchforste ich meinen Koffer. Der Berg auf meinem Bett wächst und wächst, etwas Passendes zum Anziehen ist trotzdem nicht dabei. Zumindest nichts, das den Ansprüchen meiner Mutter genügt. Na, toll. Stöhnend lasse ich mich rückwärts in den Klamottenberg fallen. Scheiß auf Knitterfalten.
    Nach einer erfrischenden Dusche entscheide ich mich letztlich wahllos für ein rotes Spaghettitop und eine weiße Baumwollhose. Recht machen kann ich es meiner Mutter sowieso nicht. Umso größer ist die Überraschung, als ich ihr in meinem neuen Outfit im Treppenflur begegne und sie wohlwollend nickt.
    Das anerkennende Lob beflügelt mich für das bevorstehende Gespräch mit meinem Vater.
    Voller Tatendrang mache ich mich auf den Weg in die Bäckerei. Das Glöckchen über dem Eingang hört gar nicht mehr auf zu klingen. Erst als ich es böse anstarre, gibt es Ruhe. Vielleicht sollte ich meine Meinung über Räume, Auren und deren Schwingungen ernsthaft revidieren.
    Hinter dem langen verglasten Ladentisch steht Regine,

Weitere Kostenlose Bücher