Zuckerguss (German Edition)
»Also?«
»Ich weiß es nicht.« Eine fadenscheinige Antwort, David spürt es genau. Aber zu mehr bin ich nicht fähig, noch nicht. Denn tief in meinem Inneren kenne ich den Grund. Und der ist so absurd, dass ich es mir verbiete, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.
David scheint damit zufrieden zu sein, denn er nickt. Er setzt sich neben mir auf die Treppe, und gemeinsam beobachten wir den Verkehr in der Wasserstraße. Die Scheinwerfer der Autos rasen an uns vorbei, beleuchten für eine Millisekunde unsere Gesichter in der Dunkelheit. Für eine Weile schweigen wir, lauschen dem Verkehrslärm und den Klängen des Hafenfestes. Worte sind überflüssig.
»Wie lange gedenkst du zu bleiben?«, fragt David nach einer halben Ewigkeit. Die Arme hat er auf die Knie gelegt, die Hände sind gefaltet. Er wirkt nachdenklich.
»Darüber habe ich noch nicht wieder nachgedacht«, gebe ich ehrlich zu.
»Hast Wismar wohl lieben gelernt, was?«
»Sagen wir lieber, ich muss einige Dinge klären.« Mit Grauen denke ich an meinen Vater und seine Borniertheit. Wie ich es schaffen soll, dass wir wieder normal miteinander umgehen können, weiß ich beim besten Willen nicht. Andererseits ist klar, dass Eva mich bis an mein Lebensende nerven wird, wenn ich mich nicht um Waffenstillstand bemühe. Tolle Aussichten.
»Meinst du uns beide?« Er deutet mit dem Finger auf mich und sich.
»Auch, aber das ist nicht mein größtes Problem.«
David legt den Kopf schief und sieht mich aufmunternd an.
Ich seufze theatralisch. »Mein Vater ist von meinem momentanen Lebensstil alles andere als begeistert, genauer gesagt, er hasst ihn.« Ich berichte David in groben Zügen von dem alten neuen Vater-Tochter-Zoff. »Er kann mir nicht verzeihen, dass ich seine Pläne ruiniert habe. Dabei ist mein Bruder der deutlich bessere Bäcker, aber erklär das mal meinem Vater.«
David fährt sich über das Kinn, den Blick in die Ferne gerichtet. »Den Erwartungen der Väter zu entsprechen ist immer schwierig. Erst recht, wenn der eigene Weg komplett anders aussieht als geplant.«
Ich schaue ihn verwirrt an, eine Augenbraue fragend in die Höhe gezogen. »Geht es dir genauso?« Ich rutsche dichter an ihn heran.
»Vielleicht«, meint er tief in Gedanken versunken und schüttelt den Kopf, als ob er eine schmerzhafte Erinnerung vertreiben würde.
Als er meinen neugierigen Gesichtsausdruck wahrnimmt, lächelt er. Doch das Lächeln reicht nicht bis zu seinen Augen.
Ich verschränke abwartend die Arme vor der Brust. Aber David macht sein Sphinxgesicht und schweigt beharrlich. Irgendwas stimmt da nicht. Und ich bin wild entschlossen, das Rätsel zu lösen, so viel steht fest.
»Und was willst du ?«, kommt er auf die Ausgangsfrage zurück und lenkt damit gekonnt von sich ab.
Ich hebe die Schultern. »Ich lose noch aus.«
Obwohl es bereits weit nach zehn Uhr ist, pulsiert am Hafen nach wie vor das Leben. Zwischen den einzelnen Ständen des Hafenfestes ist es tierisch voll, nur im Entengang kommt man überhaupt vorwärts, und selbst das gestaltet sich als schwierig. Schon zum dritten Mal trampelt mir jemand auf meinen Fuß. Ich verziehe schmerzhaft das Gesicht. Wie konnte ich mich hierzu nur überreden lassen?
Die Antwort steht neben mir und jubelt einer Depeche-Mode-Coverband auf der Bühne zu, die gerade Enjoy the Silence als Zugabe gibt. Die Menge grölt jedes Wort mit. Mein Begleiter ist keine Ausnahme. Ich stehe etwas verloren daneben und möchte mich allzu gerne in Luft auflösen. Ich bin definitiv nicht klaustrophobisch veranlagt, aber ich kämpfe zunehmend gegen ein kleines bisschen Platzangst und Luftknappheit an.
Neben mir springen zwei Jugendliche wie bekloppt auf der Stelle und wiehern albern. Der Inhalt ihrer Bierflaschen entleert sich halb auf meinen Schuhen. Stinksauer brülle ich die beiden Idioten an, die sind jedoch bereits dermaßen dicht, dass ihnen mein Geschrei herzlich egal ist. Ich schnüffele an meinem Ärmel, der ebenfalls einige Tropfen abbekommen hat. Bäh. Ich stinke wie ein Bierfass. Und wie ich meinen Vater kenne, wird er glauben, ich habe eben dieses leer gesoffen.
»Tolles Konzert«, ruft David, um die begeisterte Menge zu übertönen. Er ist total aufgekratzt, die Augen leuchten und die Mundwinkel sind zu einem breiten Grinsen verzogen. Man könnte den Eindruck gewinnen, er hat gerade Dave Gahan höchstpersönlich getroffen.
Ich lächele grimmig. »Erklär mir bitte noch mal, warum ich mitgekommen
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