Zuckerguss (German Edition)
Kurzzeitig wird mir schwarz vor Augen, weil ich meine Atmung vergessen habe. Ich werde nicht kollabieren! Das fehlt ja noch, dass ich Angst vor diesem popeligen Riesenrad habe. Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht locker und leicht schaffen würde.
Ein Auge geschlossen, schiele ich vorsichtig nach oben. Dabei wird mir normalerweise nicht ganz so schnell schlecht. Meinem Gefühl nach sind wir bereits hundert Kilometer von der Erde entfernt, und ich finde, das reicht nun. Wirklich. Aber die Gondel steigt immer weiter empor.
Du lieber Himmel.
Mir ist furchtbar schlecht. Ich befürchte, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Und diese verdammte Gondel ist immer noch nicht oben angekommen!
Riesenrad. Also ehrlich. Ich weiß doch, dass mir schon beim Ausblick aus dem dritten Stock speiübel wird.
Wind kommt auf und bringt unsere Gondel zum Schaukeln. Die Verankerung über mir quietscht, und ich möchte mich nun wirklich gerne übergeben. Was, wenn das Teil plötzlich stehen bleibt? Oh Gott, das überlebe ich nicht!
»Der Ausblick ist phantastisch«, lobt David und dreht seinen Kopf nach allen Seiten, um ja nichts von der tollen Aussicht zu verpassen. Er ist total aus dem Häuschen. »Wie winzig die Leute unter uns sind, wie bunte Punkte auf schwarzem Untergrund. Schau mal, dort drüben, das Wassertor sieht aus wie ein Miniaturnachbau.«
»Hm.«
»Gefällt’s dir nicht?«
»Doch. Spitze. Klasse.« Ich klang schon mal überzeugender. Aber im Moment interessiert mich dieser phantastische Ausblick nicht die Bohne. Mein einziger Wunsch ist, wieder festen Boden unter die Füße zu kriegen. Schnellstmöglich!
»So siehst du nicht unbedingt aus.«
»Das täuscht«, winsele ich. Ich winsele! Das muss man sich mal vorstellen!
David legt den Kopf schief. »Hast du Höhenangst?«, erkundigt er sich unsicher.
Ich lache laut auf. »Blödsinn. Ich, Höhenangst? Haha. Das hättest du wohl gerne.«
»Du bist ganz grün um die Nase.« Sein Gesicht drückt echte Besorgnis aus.
»Das liegt an der frischen Ostseeluft«, stammele ich, als es über mir erneut verdächtig knarrt. »Hast du das gehört?« Ich grapsche nach Davids Hand und zerquetsche in einem leichten Panikanfall beinahe seine Finger. Nach dieser Fahrt sind sie reif für den Gipsverband, so viel scheint sicher.
Wann ist dieser Höllenritt denn bloß vorbei? Mir ist hundsübel, und ich möchte heulen wie ein kleines Baby.
Als hätte mich der Betreiber des Riesenrads gehört, schwebt unsere Gondel dem Erdboden entgegen. Gott sei Dank! In wenigen Sekunden habe ich diesen Horror überstanden und wieder festen Boden unter den Füßen.
Ich will mich bereits freudig von meinem Platz erheben, als die Gondel zu einer weiteren Runde ansetzt. Hilfe, nein! Stopp! Anhalten! Hektisch rudere ich mit dem Armen, um dem Menschen im Riesenradhäuschen gestenreich mitzuteilen, dass ich aussteigen will. Jetzt. Sofort. Auf der Stelle. Er beachtet mich jedoch nicht, sondern blättert seelenruhig weiter in seiner Zeitung. Ob ich schreien sollte? Aber das ist mir dann doch zu viel Aufsehen, peinlich obendrein.
Resigniert lasse ich mich auf den Holzsitz neben David fallen, lege den Kopf zwischen die Knie und setze meine Atemübungen von vorhin fort. Wenn ich nicht mitbekomme, wie wir uns bewegen, überstehe ich das hier vielleicht eher. Irgendwann muss diese Fahrtrunde ja ein Ende haben. Hoffentlich früher als später!
David legt seinen Arm um meine Schultern und zieht mich in die Kuhle zwischen Rückbank und seinem Oberkörper.
Ich blicke erstaunt auf, will etwas sagen, aber er legt seinen Finger auf meinen Mund. Die Worte, die mir auf der Zunge lagen, lösen sich in Luft auf. Und ehe ich mich’s versehe, liegt mein Kopf an seiner Brust und ich lausche Davids Herzschlag. Das beständige Klopfen hat eine derart beruhigende Wirkung auf mich, dass ich mich dabei ertappe, wie ich kurz die Augen schließe. Entsetzt reiße ich sie wieder auf.
Ein Ruckeln durchzuckt die Gondel, dann noch mal. Die Lichter des Riesenrads erlöschen. Ich kreische angsterfüllt auf und klammere mich an Davids Sakko fest. Mein schlimmster Alptraum bewahrheitet sich. Wir stürzen ab. Hinab in die pechschwarze Tiefe. Oh Gott.
Meine Atmung beschleunigt sich, ich stehe kurz davor zu hyperventilieren. Wir werden zermatscht sein, wenn nicht vom Aufprall auf dem Pflaster, dann von den tonnenschweren Teilen, die von dem Riesenrad auf uns herabregnen. Nicht schön, ganz und gar nicht schön. Ich will nicht
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