Zuckerleben: Roman (German Edition)
den gelegentlichen Automobilisten auf der Straße nach Otaci erschrecken, hinter sich.
Der Bulibascha ist in Gedanken versunken. Als sie sich dem Schild nähern, auf dem das Dorf Corbu in 2 Kilometern angekündigt wird, fordert der Bulibascha Nichifor den Reinen auf, von der Straße nach Otaci abzufahren, Richtung Corbu.
»Was willst du denn in Corbu, Bulibascha?«, wundert sich der Reine, exekutiert aber Bulibaschas Wunsch.
Der Bulibascha betrachtet die Corbulaner Maisfelder, die im Licht der Spätnachmittagssonne leuchten.
»Eine Beichte ablegen.«
»Aber du kennst doch niemanden hier in Corbu …«
»Eben.«
Schuld und Sühne
1991. CORBU, DONDUȘENIER RAYON, REPUBLIK MOLDOVA
Der Corbulaner Protodiakon Derimedont rückt sich sein Kamilavkion zurecht, lässt seinen Blick panoramisch durch seine dem Heiligen Dumitru geweihte Kirche gleiten, atmet den balsamischen Duft von Kerzen und Myrrhe ein, legt seinen silbernen Weihrauchschwenker ab und lauscht pflichtbewusst der seltsamen Geschichte seines Besuchers, der sich ihm gerade als der Bulibascha von Otaci, Tudorel-Deomid Balmus, vorgestellt hat. Der Bulibascha lässt sich mehrmals vom Corbulaner Protodiakon versichern, dass Derimedont das Beichtgeheimnis auf keinen Fall brechen und alles, was der Bulibascha ihm in der Beichte anvertraut, mit ins Grab nehmen würde. Tudorel-Deomid atmet erleichtert aus und kniet vor dem orthodoxen Geistlichen nieder. Der Protodiakon legt sein Epitrachelion über Tudorel-Deomids Haupt, in der Manier, wie es der orthodoxe Ritus vorschreibt, und gibt dem Bulibascha ein Zeichen, dass er nun bereit sei, ihm die Beichte abzunehmen.
Seiner Kleidung nach zu urteilen muss der Roma wohlhabend sein …, denkt sich Derimedont und fragt sich gleichzeitig: Womit der Zigeuner wohl in diesen Krisenzeiten so viel Geld macht?, ohne sich jedoch äußerlich anmerken zu lassen, dass ihn dieser Gedanke wurmt.
Der Bulibascha von Otaci erzählt dem Protodiakon eine verworrene und etwas eintönige Geschichte über seine Kooperative EL GITANO SRL , die Tudorel-Deomid gleich nach der Liberalisierung des sowjetischen Bankensystems durch den damaligen Ministerpräsidenten Ryschkow gegründet und seither dazu verwendet hat, mit dem Direktor der rayonalen Zuckerfabrik von Dondușeni Wadim Wladimirowitsch Hlebnik Samagon ans Ausland zu verkaufen und sonstige lukrative Valuta-Geschäfte zu tätigen. In seiner Litanei kommen außerdem das Nüchternheitskomitee des Rayons Dondușeni vor, ungarische Bankkonten, Namen irgendwelcher MSSR -Apparatschiks in Chișinău, Tiraspol, Drochia und Bălți, 70 Goldbarren à 1000 Gramm, die Direktor Hlebnik mit der Markierung ZUCKERLEBEN sowie einem Logo seiner Dondușenier Zuckerfabrik versehen und in Bulibaschas Otacier Residenz verwahren ließ, ein ganzer Kontinent – Amerika – und ein gewisser Zwischenhändler Klaus aus Darmstadt. Irgendwann verschließt der Protodiakon seine Augen, balanciert sein Körpergewicht von einem Bein auf das andere und versucht sich so in eine entspanntere, meditativere Gemütsverfassung zu versetzen, als er unter seinem Epitrachelion den Bulibascha murmeln hört:
»Und deswegen habe ich ihn umgebracht … Das war doch richtig so, oder, Batyuschka?«
Derimedont reißt die Augen auf.
»Sei so gut, wiederhol den letzten Teil noch mal, mein Sohn. Etwas lauter, bitte …«
Dazu der Bulibascha unter Derimedonts Epitrachelion, etwas lauter als zuvor:
»Diese ungarischen Vollcholopen haben pleite gemacht! Stell dir das mal vor, Batyuschka. Ich meine die ungarische Bank in Budapest, wo ich meinen Anteil aus dem Samagon-Geschäft mit Hlebnik angelegt hatte. Von einem Tag auf den anderen verdünnisiert. Und da war ich eine Zeit lang echt in der Klemme, weil ich meine Rubel aus den anderen Geschäften bereits wieder investiert oder in anderer Form in Umlauf hatte. Und das Budget der Schwarzhändlergilde zu streichen, das hätte ihren Vorsitzenden Sergej Wenjaminowitsch Zhurkow und seinen Vize Mihailytsch den Major gar zu sehr verstimmt. Deswegen war das keine Option für mich, Batyuschka. Ich konnte ja damals nicht wissen, dass mir kurze Zeit später dieser Klaus aus Darmstadt über den Weg laufen würde und dass das mit den Nieren so gut klappt. Also hab ich damals Hlebniks Goldreserven angezapft, um weiterhin die Roma-Gemeinde von Otaci – 5000 Seelen immerhin – zu unterhalten. Ich hatte freilich vor, sobald ich den Verlust der ungarischen Gelder verkraftet hätte, dem Hlebnik
Weitere Kostenlose Bücher