Zuckermacher 02 - Aschenblüten
wollte dich nicht wecken.«
Ich sah sie verständnislos an, weil es eine Weile dauerte, bis ich mich erinnern konnte, wo ich mich befand und wie ich dorthin gekommen war.
»Aber wenn du wirklich eine Katze wärst, dann wärst du eine sehr dreckige Katze!«, fuhr Anne fort. »Dein Kleid ist schmutzig, deine Haare sind angesengt und verfilzt. Du siehst aus wie ein Schornsteinfeger und stinkst schlimmer als ein Leimsieder.«
Ich setzte mich wie der Blitz auf und sah mich um, weil mir plötzlich einfiel, wo ich mich befand - in dieser hügeligen Landschaft voller Sträucher, wo die Waschfrauen der Stadt ihre Laken hintrugen, um sie auf den Büschen trocknen zu lassen. Doch jetzt hingen keine Laken da, sondern Hunderte, nein, Tausende von Leuten mit ihren Möbeln, Körben, Bündeln, Büchern und Tieren saßen, lagen oder standen dicht gedrängt herum.
»Wie hast du mich bloß gefunden?«, fragte ich Anne erstaunt.
Sie lächelte. »Das war ganz einfach!«, sagte sie. »Gestern Abend habe ich mich den McGibbons angeschlossen, und heute früh im Morgengrauen habe ich ihren sechs Kindern als Erstes erzählt, was du anhast -allerdings konnte ich nicht ahnen, dass dein Kleid sich so sehr verändert haben würde. Ich habe dem, der dich findet, eine Tüte voll Zuckerwerk versprochen.«
Ich sah mich nach den McGibbons um, die am Crown and King Place ein kleines Pastetengeschäft ein paar Häuser von unserem Kaufladen entfernt besaßen, doch im Augenblick konnte ich sie in der Menschenmenge nicht entdecken.
»Die Kinder sind gleich im Morgengrauen losgezogen und haben dich innerhalb einer halben Stunde gefunden, weil sie so eifrig in der Nähe der Stadtmauer gesucht haben!«, sagte Anne und schüttelte dann traurig den Kopf. »Allerdings weiß ich nicht, wann ich in der Lage sein werde, mein Versprechen einzulösen...«
Mir stockte der Atem. »Ist denn der Brand bis zu unserem Geschäft vorgedrungen?«
Sie nickte feierlich. »Mistress McGibbon hat mir erzählt, dass das Feuer gestern am späten Nachmittag den Crown and King Place erreichte. Es war zwar eine eingespielte Mannschaft Brandbekämpfer da, die die Häuser hinter den unseren mit Haken abrissen, um zu versuchen, unsere Häuserzeile zu retten, doch die Flammen sind Über die Lücke hinÜbergesprungen und ...« Sie hielt inne, als sie sah, dass meine Augen sich mit Tränen füllten, und fuhr erst nach einer Weile fort: »Doch es ist niemand ums Leben gekommen, Hannah. Und sieh mal her!« Sie hob einen Rockzipfel hoch, und da lag Kitty auf dem Gras und schlief tief und fest. Sie trug ein Band um den Hals, dessen Ende an Annes Handgelenk befestigt war.
Ich lächelte, aber es war nur ein sehr kleines Lächeln. Wir hatten alles verloren - alles, außer Kitty und den Kleidern, die wir am Leib trugen, und selbst die waren völlig zerfetzt. Wieder einmal legte ich meine Hand schnell an meinen Hals, und mein Lächeln wurde ein bisschen breiter, weil ich mein kostbares Medaillon immer noch trug - außerdem wusste ich, dass mein Geldbeutel immer noch unter meinen Röcken festgebunden war, weil ich die kleine Erhebung, die das Geld bildete, auf meiner Hüfte spüren konnte.
»Aber unser kleiner Laden!«, sagte ich und dachte an das hübsche Schild, die Holzläden und den gekalkten Innenraum. »Unser Geschäft liegt in Schutt und Asche ... Was wird Sarah bloß sagen? Sie hat mir die Sorge dafür Übertragen.«
»Hannah!«, rief Anne aus. »Sie wird keinen Ton sagen. Sie wird einfach nur froh sein, dass wir beide noch am Leben sind. Und wie hättest du auch unser kleines Geschäft retten sollen, wenn doch die größten Bauten der Stadt den Flammen zum Opfer gefallen sind?«
Ich seufzte und nickte. »Ich habe die Kathedrale von
St. Paul lichterloh brennen sehen«, sagte ich. »Was für ein Anblick das war, Anne: eine riesige Feuerschachtel, die den Himmel taghell erleuchtete. In ihrer Nähe war es heiß genug, um tausend Truthähne zu braten.«
»Alle großen Gebäude sollen abgebrannt sein und Tausende kleinerer Häuser dazu. Auch die Gefängnisse sollen niedergebrannt sein - die armen Insassen wurden angekettet zurückgelassen und sind bei lebendigem Leib verbrannt!«
Ich wandte mich schaudernd ab. »Nein!«
»Aber erzähl mir doch, wie du hierher gekommen bist«, sagte Anne. »Ich bin nämlich in der Nähe der Stadtmauer geblieben, wie du es mir gesagt hast. Ich habe geguckt und geguckt, was für Leute durch das Tor kamen, bis es dunkel war - obwohl es ja wegen der
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