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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Gaby. Es ist doch auch mein Haus. Ich wohne hier auch. Für meine Kinder ist es ihr Zuhause. “Mutter meint es nicht so”, hatte Hubert ihr erklärt. “Ich bin für sie die ganze Familie. Da gehört ihr automatisch dazu.” Aber sie bestand doch auch für sich selbst? Oder existierte sie nur als Huberts Frau? Als Mutter von seinem Kind? Würde sie wie eine Seifenblase zerplatzen, wenn sie weder das eine noch das andere war? Hatte sie dann keine Daseinsberechtigung mehr?
    Warum hatte sie bei Robbie nicht an sich gezweifelt? Damals hatte sie auch all die anderen Gedanken nicht gehabt. Die Schublade der Erinnerungen war zugeblieben. Warum, um Himmels willen sprang sie jetzt immer und immer wieder auf? Warum quollen die Gedanken an Vergangenes wie glibberige Schlangen aus der Lade und schlängelten sich durch das feinmaschige Netz ihres Bewußtseins? Ich will es nicht, ich will es nicht. Das alles ist vorbei. Nur das Heute zählt.
    Das Heute bestand aus einem lieben Mann und drei Kindern. Zugegeben, sie hatten ein paar Probleme mit Natalie und Manfred. Aber war das nicht normal bei zwei pubertierenden Teenagern? Huberts Mutter reiste morgen wieder ab. Dann würde es wieder ruhiger werden. Es war doch auch normal, daß sie gerne bei ihrem Sohn war und das deutlich zeigte. Wer war sie selbst schon? Eine Schwiegertochter, um die sie nicht gebeten hatte. Von der sie vielleicht ahnte, das sie viel zu verbergen hatte. Ich muß mir nur Mühe geben, dachte Gaby. Dann wird schon alles werden. Liebe fällt einem nicht in den Schoß. Und Achtung und Anerkennung schon gar nicht. Hubert wollte ein Kind von ihr. Er bewies ihr tagtäglich seine Liebe und Achtung. “Wir versuchen es so schnell wie möglich aufs neue”, hatte er ihr gestern im Bett versprochen. “Ich kann nicht”, hatte sie gesagt. “Ich habe Angst.” — “Du brauchst doch keine Angst zu haben. Du hast doch mich. Komm, sei lieb zu mir.”
     
    Sie lief und lief, die Häuser links und rechts neben ihr schienen in den Himmel zu wachsen, nahmen ihr jede Sicht auf ein Stückchen Blau. Mauern, wohin sie sah: nur Mauern. Hinter sich hörte sie Schritte. Er war wieder da. Er verfolgte sie. Sie rannte, die Straßen wurden stets schmaler, die Mauern höher und höher. Nirgends ein Ausgang, ein Weg ins Freie. Er kam dichter und dichter heran. Ihr Atem ging stoßweise, ihre Seite schmerzte. Er war hinter ihr. Sie wagte sich nicht umzusehen, fort, nur fort, sie stolperte, fiel hin. Er stand über ihr. Wie groß er war. Er reichte bis in den Himmel. “Nein”, wimmerte sie, “bitte nicht, tue es nicht.” Er beugte sich zu ihr hinunter, ganz langsam. Dann schrie sie gellend auf, schrie und schrie. “Gaby, du träumst schon wieder. Gaby, so werde doch wach.” Sie wimmerte. “Nein, bitte tue es nicht, bitte!” Jemand schüttelte sie. “Wachwerden, werde endlich wach.” Sie sah in das Gesicht über sich. Es war Huberts Gesicht. Sie schloß die Augen. Dieser Traum, er kam immer wieder. Jemand verfolgte sie, erreichte sie, sie fiel, aber dann, der Mann in ihrem Traum — er hatte kein Gesicht. Nichts. Zögernd öffnete sie die Augen. Huberts Gesicht über ihr. “Du hast nur geträumt. Alles ist gut.” Alles ist gut.
    Gestern waren sie zusammen im Theater gewesen. Behutsam hatte er sie zu ihrem Platz geführt. Die vielen Menschen um sie herum. die Blicke, sie hatte fast nicht laufen können. Als sie saß, wurde es besser. Die Panik ebbte ab. Es gab “Das Tagebuch der Anne Frank”. Wieder spürte sie die gleiche Verbundenheit mit der Hauptdarstellerin, die sie auch als junges Mädchen bei der Erstaufführung gehabt hatte. Nirgends hingehen zu können, Tag für Tag Angst zu haben und doch zu leben. Es irgendwie fertigbringen, auf ein “Später” zu hoffen. Für Anne Frank hatte es kein “Später” gegeben. Aber ihr Tod hatte einen Sinn gehabt. Millionen Menschen in aller Welt haben durch ihr Tagebuch von den Leiden und Hoffnungen eines Mädchens gelesen. Begriffen durch ihre einfachen Aufzeichnungen vielleicht, was es bedeutete, gefangen zu sitzen. Ausgeliefert zu sein.
    “Du bist blaß”, hatte Hubert nach der Vorstellung zu ihr gesagt. “Du mußt dir das nicht so zu Herzen nehmen. Es ist doch lange her.” Ja, es war lange her. Anne Frank war lange tot. Aber der Antisemitismus lebte. Und nicht nur deswegen saßen Menschen gefangen. Wurden Kinder gequält. Mißhandelt. In der Zeitung hatte sie einen Fall von Kindesmißhandlung gelesen. Ein zweijähriges

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