Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Vielleicht arbeiten deine Drüsen nicht richtig, oder sonst ist irgend etwas nicht in Ordnung.” — “Kümmere dich um deinen eigenen Kram.” Bissig hatte Natalie sie gemustert. “Du wirst doch auch wieder rundlich.”
Sie war blutrot geworden. Es stimmte. Sie war wieder schwanger. Zu früh, befürchtete sie. “Wird schon werden”, meinte Hubert. “Ich kann mir vorstellen”, hatte sie sich beinahe bei Natalie entschuldigt, “daß du es nicht schön findest, daß ich noch ein Kind bekomme, aber wir...”
Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu vollenden. “Du meinst Hubert. Hubert will doch unbedingt eine Großfamilie, nicht wahr? Und du spielst die Bruthenne.” Darauf hatte Gaby nichts geantwortet. Sie wußte nicht, wie man sich als normales Mädchen in der Pubertät fühlte. Sie war in ihrer eigenen Pubertät zu sehr damit beschäftigt gewesen, zu überleben. Aber vielleicht fühlte Natalie sich auch einsam. Trotz ihrer stets gegenwärtigen Liebe und Fürsorge. Vielleicht mußte sie sich wirklich so gegen sie absetzen. “Wenn du weißt”, hatte sie schließlich doch gesagt, “daß ich dich über alles liebe. Und daß ich immer für dich da bin.” Dann war sie zu Daniel gegangen, den sie in seinem Bettchen rumoren hörte. Sein Mittagsschlaf war vorbei. Während sie ihn windelte und die Gelegenheit benutzte, sein rundes Bäuchlein zu küssen, dachte sie, was sie dafür gegeben hätte, wenn sie diese Worte einmal von Mutti gehört hätte. Und wenn sie es schon nicht hätte sagen können... Wenn es Gaby doch hin und wieder einmal gefühlt hätte! Ja, sie erinnerte sich. Sie war noch klein gewesen, jünger als sechs Jahre... Sie lief auf einer Steinmauer, und Mutti hielt sie an der Hand, führte sie. Am Ende der Mauer hielt Mutti die Arme auf, und sie sprang hinein. Voll Vertrauen und Glück. Von dem gefährlichen Balanceakt auf den Steinen wieder zurück auf dem Boden. Und sich dann an Mutti schmiegen. “Großes Mädchen”, hatte Mutti gelacht und ihre Hand beim Weiterlaufen festgehalten. Später hatte sie ihr nie wieder die Hand gehalten. Sie hatte sie abstürzen lassen.
Sie fühlte, daß Natalie ihr auch ganz nahe stand. Daß sie nur jetzt, in dieser Zeit ihrer eigenen Entwicklung, Abstand zu ihr brauchte. Eines Tages würde sie sie ins Vertrauen ziehen. Wenn ihre Tochter selbst so weit war.
“Vielen Dank”, sagte Hubert, “du hast wieder ausgezeichnet gekocht. Sehr lieb von dir.” Sie sah ihn groß an. Wie er sich bedankte. Als wenn ihm jemand im Wartezimmer einen Stuhl anbot. Vielen Dank. Sehr lieb von dir. Sehr freundlich von Ihnen. Machen Sie sich weiter keine Mühe. Bis hierhin und nicht weiter. Mit rasenden Kopfschmerzen war sie heute morgen aufgestanden. Die Kinder kommen! Also wieder großer Koch- und Backtag. Ein Zäpfchen genommen. Sie war im vierten Monat. Ein Zäpfchen wird doch dem Baby nicht schaden? Nicht wieder den ganzen Tag im Schlafzimmer liegen. Gegen angehen, wie Hubert es nannte. Also, um acht Uhr in der Küche stehen und den Hefeteig für die Pizza kneten. Die Zwiebeln für den Belag brennen in den Augen. Wie warm Tränen sind. Sie kommen von ganz tief innen, wo es noch warm und lebendig ist. Tomaten pellen, Speck anbraten. Eier für den Sandkuchen schlagen. Obst schälen für den Obstsalat. Butter schaumig rühren, vermengen mit Mehl, Eier darunterziehen, Kuchen in den Ofen. Pizzateig ausrollen, Belag darauf verteilen. Aufräumen, putzen, Tisch decken, Kinder begrüßen, Kuchen essen, aufräumen, Kopfschmerzen, noch ein Zäpfchen, Fernsehen, Pizza essen.
Sie räumte den Geschirrspüler ein. “Komm, laß mich das machen.” Hubert schob sie zur Seite. Wortlos nahm er die Tassen von der linken Seite und stellte sie auf die rechte Seite. Zwei Teller kamen von der oberen auf die untere Schiene, um die Schale herum machte er mehr Platz. Die Weingläser klemmte er fest. Als er ihren Blick bemerkte, runzelte er unwillig seine Augenbrauen. “So wie du das Geschirr hineingestellt hast, beschädigst du bestimmt noch einmal etwas.” — “Meinst du?” — “Du solltest froh sein, daß ich dir helfe.” — “Ich bin dir sehr dankbar.” — “Ich begreife nicht, daß du so gereizt bist.” — “Ich bin nicht gereizt. Ich habe Kopfschmerzen.”
“Darum helfe ich dir ja beim Geschirr-Einräumen.” — “Du hilfst mir nicht. Du veränderst das, was ich schon getan habe.” — “Wenn ich sehe, daß du es nicht richtig machst.” — “Wer bestimmt, was richtig ist?” —
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