Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Sie hatte sich von Robbie getrennt, als er Natalie zu schlagen begann. Sie hatte ihr Kind beruhigt, ihm sofort geglaubt, als Pappi sich auch ihm genähert hatte. Sie würde immer für ihre Kinder dasein.
Auch im Urlaub hatte sie Nacht für Nacht geträumt. Sie gebar das Kind, das sie verloren hatte. Im Traum überrollten sie die Wehen, sie stöhnte, keuchte und preßte. Und dann war es da. Ein kleiner Junge. Sie bog sich nach vom, um ihn in ihre Arme zu nehmen. Doch er wich zurück, lächelte, wurde kleiner und kleiner, verschwand. Ganz ruhig und friedlich. Und sie begriff, daß dieses Kind noch nicht hatte geboren werden wollen.
Was aber wollte ihr der Traum von Mutti sagen? Sie hatte ihr nie zugehört. Sie würde ihr auch nie zuhören können. Und ob sie es gewußt hatte? Hätte sie ihr dann das Versprechen abgenommen, sich um Pappi zu kümmern? Hätte sie sie dann unter Druck gesetzt, Pappi als Patenonkel von Manfred zu benennen? Wenn sie gewußt hätte, was geschehen war, hätte sie das doch nicht von ihr verlangt.
Gaby stand auf. Sie blickte in den dunklen Garten hinaus. Sie wußte, daß die Terrasse eingesäumt war von blühenden Fuchsien, Geranien und Petunien. Aber sie sah nichts. Ein paar dunkle Schatten, das war alles, was sie erkennen konnte.
Professor de Ruiter kam um seinen Schreibtisch herum und nahm Gabys kalte Hand in seine. “Ich verspreche Ihnen, daß Sie Ihr folgendes Kind nicht verlieren. Ich bin, sagen wir einmal, zu achtundneunzig Prozent sicher, daß Sie Schwangerschaftsdiabetes haben.”
Hinter Gaby lagen drei Wochen mit verschiedenen Tests, ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus von drei Tagen, Blutuntersuchungen und immer wieder andere Tests in Ruhe und unter Belastung.
“Das heißt,” fuhr der grauhaarige Arzt fort, “daß Sie schon vor der Befruchtung Insulin spritzen und eine strenge Diät einhalten müssen. Ich bin überzeugt, daß Sie ihre letzten zwei Kinder wegen akutem Schwangerschaftszucker verloren haben.”
Gaby sah in das zerfurchte Gesicht des Professors. Seine hellblauen Augen sahen voller Güte auf sie herab. Er drückte ihre Hand und legte sie behutsam wieder in ihren Schoß zurück. “Wenn Sie wirklich noch ein Kind haben möchten, ich werde es Ihnen in Ihre Arme legen.”
Nur mühsam konnte Gaby ihre Rührung unterdrücken. Wenn jemand auf diese Art und Weise, väterlich gütig, mit ihr sprach, war es, als rüttele jemand an den Toren, hinter denen so viele unerwiderte Gefühle verborgen lagen. Das war es auch, was sie an Hubert so liebte. Wenn er den Arm um ihre Schultern legte, ihr in den Mantel half, ihr den Stuhl zurechtrückte, eine Wolldecke über sie legte, wenn sie auf der Couch lag, ja, sogar, wenn er ihr bei Tisch die Schüssel mit den Kartoffeln oder dem Gemüse reichte, sie fühlte sich geborgen, umsorgt. Endlich war da jemand, der sich um sie kümmerte, der lieb und geduldig war. Das andere an ihm, das Beängstigende, das schob sie zur Seite. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Im Schatten wurde ihr kalt. Sie wollte sich in seiner Wärme und Aufmerksamkeit räkeln, darauf vertrauen, daß das der wahre Hubert war.
Hubert lächelte ihr aufmunternd zu. Er saß in dem Korbsessel unter dem Fenster und hatte dem Professor aufmerksam zugehört. “Das sind gute Neuigkeiten, nicht wahr. Kleines?” Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Doch, es waren gute Neuigkeiten. Dieser erfahrene Arzt versicherte ihr, daß es an einem körperlichen Gebrechen lag, daß sie ihre beiden Babys nicht hatte austragen können. Er versicherte ihr mit achtundneunzigprozentiger Sicherheit, daß eine folgende Schwangerschaft gut ablaufen würde. Sie würde noch einmal ein Kind bekommen. Sie mußte viel dafür tun. Jeden Tag Insulin spritzen. Im Krankenhaus hatte sie gelernt, wie man sich selber eine Spritze gab. Die freundliche Schwester Margot hatte gelacht. “Nein, nein, Frau Gerken, Sie müssen schon hinse-hen, sonst können Sie die Spritze nicht richtig ansetzen. Sehen Sie, so: Das Fleisch des Oberschenkels zwischen zwei Finger packen, die Nadel schräg halten und dann mit einem festen, ruhigen Ruck zustechen. Beinahe wie von selbst gleitet die Nadel ins Fleisch.” Gaby hatte nur mit Mühe ein Schütteln unterdrücken können. Sie konnte seit ihrer Kindheit kein Blut sehen. Blut, das bedeutete Gewalt, Angst, Tod. Wenn sie bisher eine Spritze bekam, hatte sie den Kopf abgewandt. Als wenn der Schmerz geringer ist, wenn man den Einstich nicht sieht. “Nicht so
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