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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Die Schwester lächelte ihr beruhigend zu und tupfte ihre Stirn ab. “Gleich ist es vorbei”, sagte sie. Gaby fühlte einen wehen Schmerz, als die Kanüle aus ihrem Bauch gezogen wurde. Dr. Heeschen deckte ein Tuch über die entnommenen Fruchtwasserproben. “Sie bleiben jetzt noch eine halbe Stunde ruhig liegen, und dann fahren Sie wieder nach Hause. Das Ergebnis hören Sie in circa drei Wochen. Wir wünschen Ihnen alles Gute.”

    “Ich verstehe nicht, wie sie uns solche Sorgen machen kann.” Gaby lief wie eine Gefangene im Zimmer auf und ab. Das Kind in ihr strampelte unwillig. “Sie kann doch nicht einfach die ganze Nacht wegbleiben.” — “Vielleicht ist sie verliebt.” Gaby blieb stehen, stützte sich an einem Stuhl ab, während sie die andere Hand beruhigend auf ihren Bauch legte. Sie wußte seit zwei Tagen, daß der Fruchtwassertest negativ war. Negativ bedeutete in diesem Falle: ohne Befund. Alles war gut. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen, daß ihr Kind behindert sein würde. Noch vier Monate, dann konnte sie es in den Armen halten. “Nein, bestimmt nicht”, antworte sie Hubert. “Ich wäre froh, wenn es das wäre. Sie ist unglücklich. Ihre Eßprobleme, ihre Gereiztheit, sie weiß sich mit irgend etwas keinen Rat.” Und in Gedanken fügte sie hinzu: Und ich bin ihr Blitzableiter. Wie weh tat es ihr, daß ausgerechnet ihre Tochter ihr das Vertrauen entzogen hatte. Sie war so stolz darauf gewesen, daß sie ihr als kleines Mädchen alles erzählt hatte. Auch das mit Opa...
    Ihre Tochter hatte Vertrauen zu ihr gehabt. Sie wußte, daß sie ihr alles sagen konnte. Wann war das verlorengegangen? Als sie vor fünf Jahren das erstemal ihre Tage bekommen hatte, war Natalie darauf vorbereitet gewesen. Zusammen mit Natalie hatte sie Monatsbinden in einer Apotheke gekauft. Sie hinterher zu einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte und einer heißen Schokolade mit Schlagsahne eingeladen. Unbekümmert hatte Natalie damals noch essen können. Und genauso unbekümmert hatte sie von Raimond erzählt, der sie zum nächsten Klassenfest eingeladen hatte. “Ich weiß nicht, ob ich ihn nett finde”, hatte sie nachdenklich gesagt und ein Schlagsahneflöckchen von ihrer Oberlippe geleckt. “Auf jeden Fall kann ich mich gut mit ihm unterhalten. Und das ist doch auch wichtig?” Gaby hatte es ihr bestätigt. Natürlich sei das wichtig. Sehr sogar. Und sie würde es schon merken, wenn sie ihn auf einmal nett fände. Oder jemand anderen. Und sie solle die Zeit genießen.
    Gaby dachte an ihre erste Liebe zurück. An Horst. “Deine offensichtliche Unschuld liebe ich”, hatte er ihr ins Ohr geflüstert. Ihr war ganz kalt geworden. Sie hatte ihm nichts von Pappi erzählen können. Pappi hatte dann selbst etwas erzählt — Horsts Mutter. Daß Gaby der letzte Dreck sei und ein anständiger Junge nicht mit ihr umgehen sollte. Das hatte Horst dann auch begriffen.
    “Denke immer daran”, sagte sie aus ihren Gedanken heraus, “daß du das tust, was du möchtest. Nicht, weil jemand anders es von dir erwartet. Nur dein Wunsch zählt.” Sie zögerte einen Augenblick. Natalie war erst dreizehn, aber sie sagte es dann doch. “Wenn du jemals die Pille haben möchtest, ich gehe mit dir zum Arzt.” Blutrot war das Kind geworden, und etwas von Unsinn und noch viel Zeit haben hatte es gemurmelt. “Ich meine ja auch nur”, hatte Gaby damals gesagt. “Du sollst nicht in Schwierigkeiten geraten, nur weil du nicht weißt, was du tun mußt.”
    War sie jetzt in Schwierigkeiten? Sie wurde im Sommer achtzehn. Einen festen Freund hatte sie nicht, davon war Gaby überzeugt. In erster Linie war die Schule für sie wichtig. Ihr Ehrgeiz war es, einen überdurchschnittlichen Notenschnitt zu erreichen. Eine Zwei in Griechisch ließ sie in Tränen ausbrechen. “Aber eine Zwei ist doch ausgezeichnet”, beruhigte Gaby ihre Tochter. “Eine Zwei ist gut und nicht ausgezeichnet. Das ist es ja gerade.” Sie hatte ihre Mutter bissig angesehen. “Ich will kein Durchschnitt sein. Ich will anders sein als ihr.” Auch das war normal, fand Gaby. Kinder mußten sich freimachen von den Eltern. Und bei Natalie war es in erster Linie ein Freimachen von ihr.
    Blieb sie deswegen die ganze Nacht weg? Hatte sie das schon öfter getan? Nicht ganz zufällig war Gaby noch in Natalies Zimmer im zweiten Stock gegangen. Sie hatte ihr im Kaufhof ein T-Shirt gekauft und gehofft, daß sie sich darüber freuen würde. Ihr Zimmer war leer, ihr Bett unberührt.

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