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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Sie wußte nicht warum, aber sie begann auch zu weinen. Vati hatte sie auf den Arm genommen, ihr Gesicht zwischen Muttis und seinem Gesicht. “Ich komme ja wieder”, hatte er gemurmelt. “Ganz bestimmt, ich komme ja wieder.” Er war nicht wiedergekommen. Aber er hatte sie geliebt. Er hatte sie nicht mit Absicht im Stich gelassen. Und Mutti hatte sie damals auch geliebt. Sie an sich gedrückt und sie gestreichelt. “Wir werden auf ihn warten, nicht wahr, mein Mäuschen?” Das hatte sie nicht getan. Als sie hörte, daß er gefallen war, hatte sie geschrien und geschrien. Und zwei Jahre später hatte sie Pappi geheiratet. Vielleicht, weil er ein Kriegskamerad von Vati war? Bis dahin, dachte Gaby und trocknete ihre Tränen ab, bis dahin habe ich gelacht und geweint wie andere Kinder. Bis dahin wurde ich geliebt.

    “Ja, danke”, sagte Gaby und sah auf die kleinen Sprechlöcher des Telefonhörers in ihrer Hand, in denen ihre Stimme wegsackte wie in einen dunklen Schacht. “Ich habe meinen Mann dann wohl verkehrt verstanden. Vielen Dank, Nicky.” Nicky war Huberts Sekretärin und eine Seele von einer Frau. Ende Vierzig, rund und mollig und von naiver Aufrichtigkeit. “Hubert ist heute mittag schon weggegangen. Er hatte noch etwas zu erledigen.” Er hatte noch etwas zu erledigen. Zu ihr hatte er heute morgen gesagt, daß es abends wahrscheinlich etwas später werden würde, weil er mit Geschäftsbesuch zu Mittag essen mußte und keine Ahnung hätte, wie lange sich die Besprechungen am Nachmittag hinziehen würden. Sie hatte ihn nicht kontrollieren wollen, aber ihr war nicht gut, Wellen von Übelkeit überspülten sie. Sie brauchte noch Insulin-Ampullen aus der Apotheke. Außerdem fühlte sie einen bohrenden Schmerz im Kiefer. Sie hatte Hubert fragen wollen, ob er das Insulin und einige Schmerztabletten auf dem Rückweg von der Firma mitbringen konnte. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und auf ihrer Oberlippe. Ich muß selber in die Apotheke fahren und die Medikamente holen. Allein der Gedanke daran ließ sie zittern. Sie wäre am liebsten auf der Couch sitzen geblieben, eng in die Ecke gedrückt, klein zusammengerollt, so daß sie sich selbst trösten konnte. Die beiden Großen waren noch in der Schule. Daniel war bei Ursel. Sie war ganz verrückt auf kleine Kinder und hatte ihn heute morgen zum Spielen abgeholt. “Dann kannst du dich auch etwas ausruhen. Siehst nicht so blühend aus, wie sich das für eine werdende Mutter gehört. Und ich kann mich schon auf mein Patenbaby einstimmen. Nicht wahr, Daniel, du hilfst mir beim Kuchenbacken.” Daniel lachte und rollte gleich seine Pulloverärmel auf. “Ich knete”, sagte er. “Schau mal meine Muskeln.” Er spannte seinen molligen Kinderarm. Bewundernd hatten die beiden Frauen seine Muskeln angesehen, und Gaby hatte ihm einen Kuß darauf gegeben. “Dann wachsen sie noch besser”, hatte sie gesagt und ihm viel Spaß beim Kuchenbacken gewünscht. Daniel hatte immer Spaß. Ob er still mit seinen Lego -Steinchen spielte oder mit Manfred im Garten tobte, ob Natalie ihm eine Geschichte erzählte oder Hubert ihn auf den Schultern reiten ließ, er war immer mit Eifer und Andacht bei der Sache. An der Tür hatte er sich noch einmal umgedreht. “Du bist auch nicht allein, Mammi. Das Baby ist doch bei dir.” Er warf ihr ein Kußhändchen zu. Nein, sie war nicht allein. Ihr Baby bewegte sich. Sie war trotz der strengen Diät zwölf Pfund schwerer geworden. Dabei war sie erst im siebten Monat. Insulin, dachte sie, ich muß zur Apotheke und das Insulin holen. In der Eingangstür blieb sie einen Moment stehen. Wie weit das Auto weg war. Ein langer Weg bis zum Parkplatz. Die Pflastersteine schienen ein wenig hochzukommen, neigten sich ihr entgegen. Sie holte tief Luft und schluckte. Wenn ich im Auto bin, habe ich das Schlimmste schon geschafft. Dann konnte sie sich wieder hinsetzen und die Tür hinter sich zumachen. Ihr Auto war auch ein kleines Haus. Es hatte einen festen Boden, ein Dach und Türen, die sie hinter sich schließen konnte. Ihre Knie zitterten, und sie lehnte sich gegen den Türpfosten. Wenn jemand von den Nachbarn sie so stehen sah, dachten sie bestimmt, sie sei nicht ganz richtig im Kopf. Zitternd in der Tür zu stehen und zum Auto zu starren. Ich will, dachte sie, ich will und muß ins Auto. Ich will nicht von ihm abhängig sein. Nicht auf ihn warten müssen, daß er mir das Insulin holt. Ich kann es alleine. Ich muß es alleine können.

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