Zügel der Leidenschaft
gekommen war, und der Lärmpegel im Königlichen Jachtclub hatte lauthals von Englands Stolz und Freude gekündet.
Doch zwei Menschen mieden den allgemeinen Lärm und Tumult und hatten Zuflucht auf der sternenbeschienenen Terrasse gesucht.
Gräfin de Grae bemühte sich angestrengt, Haltung zu bewahren, weil ihr immer wieder Tränen in Kehle und Augen aufwallen wollten. Sie hätte niemals, auch nicht, um einer Einladung des Prinzen von Wales Folge zu leisten, nach Cowes kommen sollen; Cowes erinnerte sie immer an ihren Joe. Wie viele Sommer war sie hier mit Joe Manton gesegelt? Zu viele, um alle Erinnerungen daran einfach auszulöschen. Und obwohl sie Joes Wunsch zu heiraten begriff, als er endlich in Besitz seines Titels gelangt war, empfand sie seit seiner Hochzeit mit Georgina im vergangenen Monat ein Gefühl von Verlassenheit, als habe sie einen guten Freund auf immer verloren.
Kit Braddock lehnte an der Steinbalustrade und betrachtete seine Jacht, die sanft schaukelnd weit draußen im Hafen vertäut war. Er war an diesem Tag mit dem Prinzen von Wales auf der Britannia gesegelt – und da er in den letzten Stunden mehr getrunken hatte, als gut für ihn war, schien die friedliche Entrücktheit der Desirée seine müden Geister hinauszulocken. Tief atmend sog er die kühle, von einem kräftigen Seetangaroma erfüllte Nachtluft in seine Lungen, was nach der stickigen Hitze im Ballsaal sehr belebend wirkte. Er sah die Lichter seiner Kabine über das Wasser zu ihm herwinken. Ob es wohl möglich war, sich unbemerkt fortzuschleichen?
Morgen würde er gegen die Italiener und Franzosen antreten. Man erwartete allgemein, daß sein amerikanischer Hochseesegler gewinnen würde. Er lächelte. Natürlich würde er siegen, seine Jacht war schneller als alle anderen auf den Meeren. Aber ein bißchen Schlaf würde ihm schon guttun ...
Als er das unterdrückte Schluchzen vernahm, war seine spontane Reaktion, es zu ignorieren.
Es war zu spät.
Er war müde.
Und weinende Frauen bedeuteten unweigerlich Probleme.
Aber die Nähe des Lauts überraschte ihn; er fragte sich, ob er jemanden übersehen hatte. Das kommt davon, wenn man in der gesellschaftlichen Saison London einem Leben des Nichtstuns frönt, dachte er. Die Manieren eines Gentlemans verloren einfach ein wenig an Schliff.
Angela de Grae zog es vor, sich nicht vor dem Mann zu kompromittieren, der in den vergangenen zwei Wochen der Tochter ihrer besten Freundin den Hof gemacht hatte. Kit Braddock wäre allein wegen seiner bewundernswerten Größe leicht erkennbar gewesen – doch das Mondlicht beleuchtete auch seine unverwechselbaren Züge. Charlotte hatte ihr den reichen, gutaussehenden amerikanischen Segler mit glühenden Worten beschrieben, der das Herz ihrer noch sehr jungen Tochter erobert hatte. Angela hätte an diesem Abend offiziell Priscillas Galan vorgestellt werden sollen – wenn es ihr gelungen wäre, sich der brüchigen Fröhlichkeit im Ballsaal anzuschließen. Wie verdammt unangenehm. Vielleicht tat der Mann so, als habe er nichts gehört, und entfernte sich. Die Gräfin hoffte inbrünstig darauf.
Kit fing den Duft der Frau mit einer leichten Nachtbrise auf, die in seinen abgelegenen Winkel herüberwehte – der unverwechselbare Duft von Rosenöl, der sich von dem der Lilien und Clematisranken an der Terrassenbrüstung deutlich abhob. Der Duft kam ihm irgendwie vertraut vor und rührte etwas in den unentwirrbaren Tiefen seiner Erinnerung an.
Dann hörte er wieder ein leises Schniefen.
Wortlos fluchend wog er seine begrenzten Möglichkeiten ab: Wäre es wohl unverschämt, sich einfach davonzustehlen? War er erkannt worden? Wie sollte er überhaupt einer völlig unbekannten Frau Trost anbieten? Gott, wie sehr er weinende Frauen haßte! Aber seine guten Manieren und eine angeborene Ritterlichkeit behielten schließlich die Oberhand, und als er sich mit einem unterdrückten Seufzer umwandte und auf den Laut zuging, hatte er sein höflichstes Lächeln aufgesetzt. Aus den gefleckten Schatten der zinnenbewehrten Mauer löste sich die Gestalt einer Frau. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« fragte er leise.
Als die Gräfin den Kopf hob, fing sich ein Mondstrahl in den hellen Spitzen ihrer modisch gelockten Frisur, ließ sie aufglänzen und rahmte ihr perfektes Gesicht wie mit einem platinfarbenen Heiligenschein.
Angela de Grae gilt aus gutem Grund schon lange als absolute Schönheit, dachte Kit mit unvermittelter Klarheit. Sie war ganz zweifelsohne
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