Zuflucht Im Kloster
ihrer bitteren Empörung, wenn sie ihr auch nicht mehr so lautstark Ausdruck gaben. Cadfael kannte die meisten von ihnen, und Radulfus konnte, wenn er auch nicht aus Shrewsbury stammte, vielleicht besser in ihren Gesichtern lesen, als sie vermuteten. Er blieb ruhig stehen, runzelte die Stirn und blickte sie drohend an, um sie vor unbedachten Taten zu warnen.
»Ehrwürdiger Abt«, begann der gutgekleidete junge Mann von neuem, »wenn Ihr ihn uns ausliefert, werden wir ihn dem Sheriff übergeben.«
Oder auch am näc hsten Baum aufhängen, dachte Cadfael.
Zwischen dem Kloster und dem Fluß gab es genug Bäume. Er stutzte mit den Fingernägeln die Kerzendochte, damit die Flammen höher brannten. Im Schatten lauerte immer noch der Mann mit dem Bart.
»Das kann ich nicht«, erwiderte der Abt kurz. »Und wenn der Sheriff selbst hier wäre, könnte er diesen Mann nicht mitnehmen, denn er hat um Asyl gebeten. Ihr wißt so gut Wie ich, wie heilig dieses Recht ist, und daß jeder, der es wagt, es zu brechen, seine Freiheit und sein Seelenheil aufs Spiel setzt.
Geht also, und beschmutzt diesen geheiligten Ort nicht länger mit euren Drohungen von Gewalt. Euer Haß entweiht unsere Gebete. Geht! Hinaus!«
»Aber Ihr habt ja noch nicht einmal gehört, welches Verbrechen er begangen hat«, rief der zornige junge Mann und schüttelte unwillig seinen Lockenkopf, wagte aber nicht, weiter vorzutreten.
»Ich werde Euch anhören«, gab Radulfus zurück. »Aber bei Tageslicht, wenn der Sheriff oder sein Unteroffizier hier ist und wir diese Angelegenheit in Ruhe und in angemessener Form erörtern können. Aber ich warne Euch: Dieser Mann hat um Asyl gebeten, und nach altem Brauch wird es ihm gewährt.
Weder Ihr noch irgendein anderer darf ihn vor Ablauf der Asylfrist von diesem heiligen Ort entfernen.«
»Und ich warne Euch, Mylord«, rief der junge Mann, dessen Gesicht von Zorn gerötet war. »Wir werden dieses Kloster bewachen, und sollte er es wagen, es auch nur für einen Augenblick zu verlassen, so werden wir ihn gefangennehmen.
Sobald er Euren Herrschaftsbereich verläßt, geht er weder Euch noch die Kirche etwas an.« Zweifellos war er recht angetrunken, sonst wäre er, ein gewöhnlicher junger, wenn auch reicher Bürger dieser Stadt, nie so weit gegangen. Aber selbst in seinem jetzigen Zustand erschrak er über seine eigenen Worte und trat einen Schritt zurück.
»Wollt Ihr damit sagen, daß er Gott dann auch nichts mehr angehen wird?« fragte der Abt kalt. »Geht in Frieden, bevor sein Fluch Euch trifft.«
Sie gingen wie Schatten, die in den Schatten zurückwichen, durch die offene Westtür und hinaus in die Nacht, aber ihre Gesichter waren dem zusammengesunkenen jungen Mann zugewendet, der auch jetzt das Altartuch nicht losließ. Es ist nicht leicht, eine aufgebrachte Menschenmenge zur Vernunft zu bringen, und selbst wenn sich ihre Klage als völlig ungerechtfertigt erweisen sollte, erschien sie den Männern im Augenblick doch berechtigt genug. Mord und Raub waren Verbrechen, die mit dem Tode bestraft wurden. Nein, nicht alle von ihnen würden nach Hause gehen. Einige würden zurückbleiben und, mit einem Seil griffbereit, die Gemeindetür und das Torhaus im Auge behalten.
»Bruder Prior und Bruder Vorsänger«, sagte Radulfus und ließ seinen Blick über die Schar der erschrockenen Mönche schweifen, »wollt Ihr bitte wieder mit den Laudes beginnen? Wir wollen den Gottesdienst fortsetzen und anschließend werden sich die Brüder, gemäß den Regeln unseres Ordens, in ihre Zellen begeben. Die Angelegenheiten der Menschen erfordern unsere Aufmerksamkeit, aber die Angelegenheiten Gottes dürfen darüber nicht vergessen werden.« Er betrachtete den Flüchtling zu seinen Füßen, dessen reglose Anspannung verriet, daß er alles, was um ihn her vorging, genau verfolgte, und sah dann Bruder Cadfael an, der mit gedankenvoller, besorgter Miene neben ihm stand. »Ich glaube, es ist ausreichend, wenn wir beide uns um unseren Gast kümmern und ihm die Beichte abnehmen, sollte er eine ablegen wollen.
Sie sind fort«, sagte der Abt gelassen zu der Gestalt zu seinen Füßen. »Ihr könnt Euch jetzt erheben.«
Ohne das Altartuch loszulassen, stand der schmächtige Jüngling auf. Er bewegte sich, als habe er überall Schmerzen, wie es ja wahrscheinlich auch der Fall war, aber anscheinend hatte er sich wenigstens nichts gebrochen, denn er stützte sich beim Aufstehen mit seinem freien Arm auf und wandte ihnen sein hageres,
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