Zug der Traeume
wie es gekommen ist, dass seine Hände meine Oberarme umfassen, und ich weiß nicht, warum er plötzlich so besorgt aussieht und meinen Namen sagt.
»’tschuldigung«, murmele ich. »Ich muss dich … äh, das erst mal verarbeiten.«
Er küsst mich, und es hilft zwar nicht, fühlt sich aber gefährlich gut an. Seine Finger bohren sich in meine Arme, ziehen mich nach oben, näher zu ihm, während sich sein nach Minze duftender Mund über meinen bewegt und ich geradezu in ihn hineinstürze. Seine Zähne auf meiner Unterlippe, seine Zunge in meinem Mund. Er lässt nicht von mir ab, bis ich vibriere und feucht werde, dann tut er es doch, aber es ist zu spät, denn alles, woran ich denken kann, ist Sex. An das Bett direkt hinter mir. Daran, wie er sich in mir anfühlt, wie sehr ich ihn vermisst habe und wie sehr ich will, dass zwischen uns alles in Ordnung ist.
Meine Lust hat mein Hirn als Geisel genommen.
»Das war ein Fehler«, sage ich.
»Es hat sich toll angefühlt.«
»Genug davon.« Meine Schenkel sind immer noch reflexartig zusammengepresst. »Es ist völlig inakzeptabel, dass wir je wieder Sex haben.«
Er schließt mit einem leichten Stöhnen die Augen, und ich möchte am liebsten sterben. Aber auf eine gute Art.
Le petit mort.
»Wir haben uns doch nur geküsst«, sagt er, die Augen immer noch geschlossen. »Jetzt hast du mich auf Sex gebracht.«
Blind greift er nach meiner Taille, aber ich schlage seine Hand weg.
»Gut, hör zu!« Ich versuche, durch das Treibgut in meinem Kopf zu navigieren. »Du hast doch den Knirps da draußen gesehen, oder? Das ist Josh. Das ist mein Sohn. Und das« – ich hebe meine Hand und mache eine ausschweifende Bewegung, die mich und den ganzen Raum einschließt – »ist mein Leben. So ziehe ich mich oft an. In ein paar Minuten muss ich zur Arbeit. Mehr mache ich im Grunde nicht: arbeiten und mich um Josh kümmern. Mein Leben ist weder glamourös noch interessant, und ich kann nicht weiter zu Dates mit dir gehen, bloß weil sie Spaß machen. Diesen Luxus habe ich mir verscherzt, als ich Mama geworden bin. Ich muss Verantwortung übernehmen, okay?«
Ich senke die Stimme. Die Wohnung ist klein, und ich habe keine Ahnung, ob Becky mich durch die Tür hören kann. Ich hoffe nicht. Himmel, ich werde ihr nie wieder in die Augen schauen können! »Und du bringst mich dazu, verrückte, unverantwortliche Dinge zu tun. Deshalb mochte ich dich so, aber ich kann nicht …«
Er unterbricht mich. »Ich habe mich in dich verliebt.«
Er hat sich in mich verliebt. Ich kann nicht mal … nein. Einfach nur nein. »Du
kennst
mich doch gar nicht.«
»Ich will dich aber kennenlernen.« Er nimmt meine Hand flach zwischen seine Handflächen und beschmiert sich zweifellos mit Sirup.
Er hat die hübschesten Augen überhaupt. Haselnussbraun. Im Dämmerlicht des Museums hatten sie immer braun ausgesehen, doch in meinem Schlafzimmer, wo das klare Licht eines kalten Dezembermorgens durch die Fenster flutet, hat Blau die Farbe von Whiskey durchzogen. Eine Augenfarbe, die eigentlich keinen Sinn ergibt, bis man sie gesehen hat, und dann hat man eine neue Lieblingsfarbe.
Er wirkt so verdammt aufrichtig. Sechs Wochen nichts, sechs Wochen zu spät, aber jetzt meint
er es wirklich ernst, dieses Liebesgeständnis zur falschen Zeit, in der falschen Geschwindigkeit. Mir ist zum Heulen zumute.
Es ist zu viel. Ich werde von dem Gewicht seines Verhaltens erdrückt. Ich wünschte, ich könnte seine Worte irgendwie umleiten, sodass mein Herz sie nicht gehört hätte, doch das hat es, und es ist so unangebracht glücklich, während alles andere von mir panisch, verwirrt und enttäuscht ist.
»Du kannst damit nicht umgehen. Du hast es mir selbst gesagt. Wir passen nicht zusammen. Ich bin erwachsen, und du … Na ja, du treibst so dahin, oder? Du hast nur einen halben Job, du lebst bei deinem Vater ohne echte Pflichten … Hast du gewusst, dass ich vierunddreißig bin? Und die Tatsache, dass ich Josh habe, macht mich quasi vierundvierzig. Ich bin zu alt für dich. Ich glaube, du hast bei all unseren Dates wahrscheinlich eine falsche Vorstellung von mir bekommen. Ich bin nicht die Art Frau, nach der du suchst.«
»Du bist genau die Art Frau, nach der ich suche.«
»Wenn das so ist, warum hat es dann sechs Wochen gedauert, bis du hergekommen bist?«
»Ich habe …« Er hält inne, starrt für einen Moment über meine Schulter, schüttelt dann den Kopf und fängt noch mal von vorn an. »Ich war ein Arschloch.
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