Zum Glück Pauline - Roman
sein: Blumenhändlerin, Anwältin, Journalistin, Buchhalterin, Krankenschwester, Buchhändlerin, Bankkauffrau, Pressesprecherin, Kinderärztin etc. In wenigen Augenblicken würde dieses Universum der Möglichkeiten verschwinden. Dann gäbe es kein Zurück mehr. Indem man seine Kenntnisse über einen Menschen ausweitet, verengt sich der Raum für Hypothesen. Und allmählich treten die Konturen eines Lebens hervor.
«Ich bin Innenausstatterin.»
«…»
«Innenausstatterin für Räume.»
Ich war überrascht. Ich hatte ihr von meiner Arbeit imArchitekturbüro erzählt, und sie hatte keinen Ton gesagt. Sie hatte mich kein einziges Mal unterbrochen, um ihren eigenen Beruf zu erwähnen, der dem meinen doch eng verwandt war. Architektur und Innenausstattung gehören zur selben Familie, es geht in beiden Fällen um das Gestalten von Wohnräumen. Das war doch merkwürdig. Ich war im Begriff, ein Hotel zu renovieren, und suchte gerade jemanden, der mit mir gemeinsam über die künftige Innenausstattung nachdachte. Wirklich sehr seltsam. Wie oft hatten mir Freunde von den «Waahnsinnszufällen» berichtet, die ihnen passiert waren. Ich war bislang nie in den Genuss solch glücklicher Fügungen gekommen. Das Schicksal hatte mir die Ehre, die Magie dieser Augenblicke erleben zu dürfen, versagt. Mitunter zweifelte ich schon, ob solche Dinge überhaupt vorkamen. Ich war von Mythomanen umgeben, von romantischen Schwärmern, die mir den Bären aufbinden wollten, das Leben sei imstande, die Form eines Wunders anzunehmen. Das konnte alles Zufall sein, aber ich sah das anders. Als sinnbildliche Veränderung in meinem Leben. Nun war auch mir das Wesen der Gnade zuteil geworden.
«Ich suche gerade jemanden, der mir hilft, bei der Innenausstattung des Hotels …»
«Leider bin ich unbezahlbar …»
«…»
«Na gut … weil Sie es sind … vielleicht können wir uns arrangieren», sagte sie lächelnd.
Kurz darauf verließen wir das Lokal. Die Zeit rauschte ohne weitere Komplikationen an uns vorüber. Es war fraglos der perfekte Moment.
«Wir könnten ins Hotel gehen», schlug Pauline vor.
«…»
«…»
«Ins Hotel?»
«Ja, in dein Hotel. Dann können wir gleich anfangen zu arbeiten …»
* Ich nahm mir vor, mir gleich am nächsten Tag das Buch zu besorgen. Und tatsächlich war da von zwei Frauen und ihren Mündern die Rede: «Ich betrachtete mir das aufmerksam und sah, wie diese Münderkonstellation meine nächtlichen Erlebnisse bestätigte, die ich schon hatte wegwerfen wollen … und ich sah, wie gleichzeitig ihr Mann etwas zu ihr sagte und Herr Leon sich einmischte und Natasia umherlief und Mund sich auf Mund bezog, mehr oder weniger so, wie ein Stern der Himmelskarte sich auf den anderen bezieht, wobei Lenas schüchtern geschürzte Lippen sich nicht gegen die kreisende Perversion zu wehren vermochten, und ich, in mir vergraben wie im Gebüsch, gab mich schlüpfriger und kalter Schäkerei mit jener Verdorbenheit hin.»
6
Intensität der Schmerzen: 0,5
Gemütslage: kosmisch
7
Irgendwann hatten wir das Siezen sein gelassen. Bis zum Hotel war es rund eine Stunde Fußmarsch. Unser nächtlicher Spaziergang war von unbeschreiblicher Schönheit.
Den romantischen Aspekt an der Sache hatte ich wohl etwas unterschätzt. Wir kamen in ein verlassenes Hotel, und das Hotel war auch noch eine Baustelle. Langsam gingen wir dieeinzelnen Zimmer ab. Pauline schien sich innerlich schon Notizen zu machen. Hie und da gab sie einen kurzen Kommentar ab und machte Vorschläge, was man noch verbessern könnte. Sie ging vor mir her, und ich studierte ihren Körper. Besonders ihren Nacken – als wir im Hotel angekommen waren, hatte sie sich die Haare zusammengebunden. Später sollte ich erfahren, dass das eine ihrer zahllosen Eigenarten war: Mit offenen Haaren konnte sie sich nicht richtig konzentrieren. Mitternacht war vorbei, wir waren zwei erwachsene Menschen, die durchs Zwielicht huschten: Zweifellos hatten wir ein erotisches Ziel vor Augen. Wir standen vor der Qual der Wahl. Welches war das schönste Zimmer? Wir ließen uns Zeit, drehten uns im Verführungskarussell. Die Beleuchtung der Notausgänge war das einzige Licht, das es gab. Pauline setzte sich auf ein Bett und schaute mich an. Wenn ich mich anfangs etwas unsicher gefühlt hatte, weil ich einfach vollkommen aus der Übung war, weil die Schönheit des Moments mich erschaudern ließ, weil ich vor Verlangen nach ihr überlief, und was weiß ich noch alles, so fürchtete
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