Zum Glück Pauline - Roman
Auffassung, die sie vertrat. Schon wieder fand ich, dass sie ganz anders aussah. Sie hatte ein nomadisches Äußeres. Es dauerte immer einen Augenblick, bis ich die Gewissheit wiedererlangt hatte, dem mir bekannten Gesicht gegenüberzusitzen. Dabei hatte sie weder etwas an ihrer Frisur verändert, noch war sie irgendwie anders geschminkt. Nein, das war eben eine Besonderheit an ihr, ihr Reisegesicht. Ich spürte, dass auch umgekehrt Pauline mich beobachtete. Offensichtlich fanden wir Gefallen aneinander. Das brachte mich ganz aus dem Konzept. Es gibt kein größeres Glück, als jemandem zu gefallen, der einem selbst gefällt. Das Sich-gegenseitig-Gefallen könnte im Ranking menschlicher Freuden ruhig ein bisschen weiter nach oben rücken. Wenn man jemanden kennenlernt, der einem gefällt, hebt man verloren geglaubte Schätze in sich selbst aus. Feuer und Leidenschaft werden neu entfacht. Ich erzählte ihr von allem, was mir im Leben wichtig war. Obwohl ich gar nicht den Eindruck hatte, von so vielen Büchern gesprochen zu haben, bemerkte sie:
«Sie sind literarisch extrem bewandert.»
«Oh, danke.»
«Haben Sie auch Witold Gombrowicz gelesen?»
«Äh … nein.»
Wie dumm, diese Bildungslücke offenbarte sich ausgerechnet im Anschluss an ihr Kompliment wegen meiner Belesenheit. Pauline schwärmte für Witold Gombrowicz, sie war hingerissen von seinem Scharfsinn, meinte aber auch, er sei ein schwieriger Autor. Am Anfang stellt man immer gern einen möglichst unkonventionellen Geschmack zur Schau. Man neigt dazu,
Die große Illusion
von Jean Renoir zu rühmen. Erst beim zwölften Rendezvous, wenn es denn überhaupt so weit kommt, gesteht man allmählich, dass der heimliche Lieblingsfilm eben doch
Titanic
ist. Mit Gombrowicz legte sie ja ganz schön los. Allein der Name klang schon so Ehrfurcht gebietend. Man konnte mit mir über Céline oder Thomas Mann reden, aber bei Gombrowicz versank bestimmt auch jeder Buchhändler gleich in Grund und Boden.
«Sie müssen seinen Roman
Kosmos
lesen. Total schön.»
«Ah …»
«Er hat so einen Blick fürs Detail. Er beobachtet etwa eine Frau und beschreibt die ganze Zeit nur ihren Mund. * Ich mag solche Obsessionen.»
«…»
Ich bemerkte, wie sie mir bei dem letzten Satz auf den Mund schaute, und pflichtete ihr bei:
«Gute Idee. Seine ganze Aufmerksamkeit auf eine einzige Körperpartie zu richten.»
«…»
«Es gibt ein Bild von Edvard Munch, das heißt
Männerkopf in Frauenhaar.
Darauf ist das Gesicht eines Mannes zu sehen, das ganz in Frauenhaar eingehüllt ist. Es sieht so aus, als würde er in diesem Frauenhaar wohnen, aber auch, als habe er nur zum Haar der Frau eine Beziehung …»
«Ach, das kenne ich nicht, dieses Bild», sagte sie. «Aber stimmt, gute Idee …»
Eins zu eins. Ich hatte den polnischen Schriftsteller mit einem norwegischen Maler gekontert. Das war der einzige kulturelle Gegenschlag, den ich spontan auf Lager gehabt hatte. Der mir mit Müh und Not noch eingefallen war. Aber wenigstens war mir nicht
Der Schrei
eingefallen, der so berühmt ist, dass die Wirkung des Gegenangriffs bestimmt verpufft wäre.
Wir unterhielten uns den ganzen Abend – wenn auch vielleicht nicht immer ganz ehrlich – über unsere Neigungen und Abneigungen, und es war wundervoll. Das Gespräch gelangte an keinem toten Punkt an. Ich genoss es, mich von meiner besten Seite zeigen zu dürfen. Mein kultureller Elan hatte jahrelang brachgelegen. Ich hatte mich im Schatten anderer Meinungen gesonnt. Wir entdeckten lauter gemeinsame Vorlieben. Mitunter schwindelte ich ihr auch leichtetwas vor, etwa als ich diskret verschwieg, dass mich ein Film, den sie ganz toll fand, vollkommen kaltgelassen hatte. Emotionale Höflichkeit gehört zu den Begleiterscheinungen einer Annäherung. Man verschönert die Wirklichkeit ein bisschen. Versucht, sich irgendwo in der Mitte zu treffen. Ich mochte Pauline, und sie hätte mir auch den letzten Schmachtfetzen zu lesen geben oder mich in eine albanische Filmreihe ohne Untertitel entführen können. Ich wollte in ihre Welt eintauchen.
Schließlich redeten wir über persönliche Dinge. Bei unserem zweiten Treffen hatte ich hauptsächlich von meiner Scheidung gesprochen, Pauline hatte vor allem von ihrer Beziehung zu diesem Kriegsreporter berichtet. Aber ich wusste im Prinzip nicht viel von ihr. Das allmähliche Sich-Kennenlernen ist ein unvergleichlicher Vorgang. Gleich würde ich mich nach ihrem Beruf erkundigen, und sie konnte alles Mögliche
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