Zum Glück Pauline - Roman
er sagte so Sachen wie: «Los, erzähl», oder: «Ich will die Geschichte von Anfang an hören.» Sein Interesse an meinem Gefühlsleben rührte mich, wo das seine doch gerade so versumpfte. Was für ein Einfühlungsvermögen. Oder womöglich auch eine Überlebensstrategie. Wenn man am eigenen Leben zu verzweifeln droht, flüchtet man sich vielleicht am besten in das anderer Leute. Er hörte mir zu, und ich hatte den Eindruck, dass er die eigenen Probleme für einen Augenblick vergaß. Ich vermied es dennoch, die Freudenmomente auszuschmücken, und drosselte aus Taktgefühl das in mir aufsteigende Glück.
* Man stelle sich etwa einen Zahnarzt in einem Gedicht von Paul Éluard vor.
** Die Schlimmste ist wohl: «Auf Regen folgt Sonnenschein.»
2
Intensität der Schmerzen: 0,5
Gemütslage: aufmunternd
3
Pauline * hatte sich also umgedreht. Einen Augenblick hingen wir so in der Luft. Ich kam mir dämlich vor, weil ich die ganze Zeit nichts gesagt hatte. Jetzt musste ich aber langsam Worte finden und erklären, warum ich hinter ihr stand. Da mir nichts einfiel, ergriff sie das Wort:
«Also … wann gedenken Sie, mich endlich anzusprechen?»
«…»
Kurze Zeit später saßen wir auf der Terrasse eines Cafés, und sie gestand mir, dass ihr die Magnetfeldtherapeutin schon alles erzählt hatte. Pauline wusste also, dass ichhinter ihr her war. Sie hatte mich auch gesehen, als sie nach ihrem Termin bei der Magnetfeldtherapeutin aus dem Gebäude gekommen war, aber so getan, als hätte sie mich nicht gesehen. Sie war losgegangen und hatte gemerkt, dass ich sie verfolgte. Als sie allmählich ungeduldig wurde oder meine Handlungsunfähigkeit erkannte, hatte sie beschlossen sich umzudrehen. Ansonsten hielt sie fest:
«Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen.»
«Finden Sie?»
«Ja. Nach unserem ersten Treffen hatte ich eigentlich gedacht, Sie kämen schon früher …»
«Ich glaube, ich bin ein eher langsamer Typ …»
«Das kann man wohl sagen.»
«…»
Ich weiß nicht, warum es so lange gedauert hatte, bis ich die Dinge klar gesehen hatte. Für das Augenscheinliche hatte ich noch nie einen Blick gehabt. Dabei war das doch eine perfekte erste Begegnung gewesen. Wir hatten über Gott und die Welt geplaudert, obwohl wir uns überhaupt nicht kannten. Ich hatte es schön gefunden, dass wir anonym geblieben waren (wir hatten uns einander nicht vorgestellt) und dass die Zukunft so im Ungewissen lag (wir hatten keine Telefonnummern ausgetauscht). Das Leben erledigte die Angelegenheit von ganz allein, indem es mir Pauline im Traum zurückbrachte. Nun waren wir zusammen. Doch das hieß noch nicht, dass wir uns auch viel zu sagen hatten. Im Gegenteil, wenn das erste Treffen leicht gewesen war, gestaltete sich das zweite vielleicht schwierig. Vor allemvor diesem reichlich unnatürlich anmutenden Hintergrund. Nachdem ich anfangs sehr verlegen war, erzählte ich ihr von meinem Traum, der mich dazu gebracht hatte, sie zu suchen. «Ich bin die Frau Ihrer Träume», sagte sie, und wir lächelten.
Pauline war seit sechs Monaten Single und fand nicht, dass ihr eine Beziehung abging. Sie war acht Jahre mit einem Kriegsfotografen zusammen gewesen, den sie schließlich verlassen hatte, weil er keine Kinder wollte. Sie war 36, und die Zeit drängte. Sie hatte flüchten wollen, bevor es zu spät war. Erst hatte sie sich nicht überwinden können, den Schritt zu gehen, und diese Beziehung aufzugeben. Acht Jahre waren eine kleine Ewigkeit. Sie hatte sich an den täglichen Nachrichtenverkehr gewöhnt und daran, einen Freund zu haben, der sich am anderen Ende der Welt befand und dort sein Leben aufs Spiel setzte. Es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie weniger an dem Mann hing als an dem, was er verkörperte. Sie war gern abends allein ausgegangen, mochte das Gefühl, wenn die Männer ihr hinterhersahen, und sie sich dachte, dass sie nur ihm gehörte. Er war immer weit weg, er war nie da, aber er diente immerhin als Alibi, sich nicht mit anderen Männern befassen zu müssen. Ihr gefiel dieser Zustand, der doch alles andere als ideal war. Auch eine auf wackligen Beinen stehende Liebe kann schön sein, Hauptsache, sie vermittelt einem das Gefühl, nicht allein zu sein. Wäre da nicht das Verlangen in ihr gewesen, Kinder zu haben, hätte sie dieses Leben noch lange weiterführen können. Der Kinderwunsch war so etwas wie ein Erlassihres Körpers. Ihr Fotograf hatte das Elend der Welt vor Augen und sah darin gute Gründe,
Weitere Kostenlose Bücher