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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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entlassen würde. Ich glaube, ich genoss sogar die Wertschätzung der anderen (außer die von Gaillard natürlich), und man kann wohl, ohne sich allzu viel anzumaßen, behaupten: Ich war ein guter, teamfähiger Mitarbeiter, der für jeden immer ein offenes Ohr hatte. Ich verstand es, bürokratischen Vorgängen eine Prise Menschlichkeit abzugewinnen. Gestern Nachmittag hatte Audibert noch einmal bei mir vorbeigeschaut. Nachdem erst der wütende Orkan getobt hatte, erschien er nun ganz aufgeräumt in meinem Büro. Ich dachte: typisch Protestant, aufrecht und loyal. Seit zartestem Kindesalter stand er im Dienste der Redlichkeit und der Rechtschaffenheit, und dadurch ging so etwas wie eine
heimliche Macht
von ihm aus. Auch wenn sein Verhalten mir gegenüber gerechtfertigt war, erriet ich, als er hereinkam, dass er es bereute. Er wich nicht gern vom Pfadder Freundlichkeit ab. Er war ein nüchterner Diplomat, ein stolzer Betriebswirt. Es stand ihm nicht gut zu Gesicht, wenn er herumschrie wie ein Teppichhändler. Mit gesetzter und ziemlich leiser Stimme sagte er:
    «Das passiert jedem mal, dass er einen Fehler macht.»
    «…»
    «Und ich weiß um Ihre Qualitäten. Wahrscheinlich waren Sie einfach überlastet.»
    «So wird’s wohl gewesen sein …»
    «Sie werden verstehen, dass ich Sie in nächster Zeit nicht mit verantwortungsvollen Aufgaben betrauen kann …»
    «…»
    «Aber ich bin mir sicher, dass sich das Vertrauen wiederherstellen lässt, und dann können wir gelassen in die Zukunft blicken …»
    Seine plötzliche Güte hatte mich so überrascht, dass ich überhaupt nicht reagierte. Das wäre der richtige Moment gewesen, ihm alles zu sagen, ihm von der Intrige zu erzählen, der ich zum Opfer gefallen war. Aber irgendetwas hielt mich zurück. Ich fühlte mich irgendwie schuldig. Es gab keine Entschuldigung dafür, dass ich Gaillard vertraut hatte, dafür trug ich die Verantwortung. Ich hätte die Dokumente, die er mir weiterleitete, prüfen müssen. Man konnte nicht gerade behaupten, dass er heimtückisch gehandelt hatte. Er hatte aus seiner Feindseligkeit mir gegenüber nie einen Hehl gemacht. Er verdiente meinen Hass, aber es war schon furchtbar naiv von mir gewesen, ihn nicht zu kontrollieren. Ich musste zugeben, ich war an dem Debakel mit schuld.
    Als ich mich so die Straße entlangschleppte und an die Worte meines Chefs dachte, fiel mir noch etwas Anderes ein, etwas Schreckliches: Eigentlich brauchte ich mich gar nicht zu wundern über das, was gerade passierte. Es war, als hätte ich schon immer gewusst, dass es einmal so mit mir enden würde. Manche Leute werden von der Gewissheit getragen, dass sie früher oder später erfolgreich sein werden, sie schäumen über vor Ehrgeiz und wissen: Der Aufwand wird sich schon noch auszahlen. Politiker sind zum Beispiel so. Ich dagegen lebte in dem Gefühl, dass mein Körper langsam verfaulte und zudem der Countdown der großen Niederlage lief. Mein Unterbewusstsein blickte schon lange in den Abgrund. In den letzten Jahren hatte sich dieses Gefühl noch verstärkt. Irgendetwas in mir war zerbrochen, die Rasse der Sieger war mir ganz fremd geworden. Der gestrige Tag markierte die Vollendung einer Haltung, die ich jetzt auch in Worte fassen konnte: Ich ließ mein Dasein willenlos über mich ergehen.
    Seltsamerweise war ich angesichts der misslichen beruflichen Lage gar nicht so verzweifelt. Natürlich ging es mir schlecht, doch mein Hang zum Pessimismus rettete mich vor dem totalen Zusammenbruch. Meine Überlegungen waren an diesem Punkt angelangt, als eine SMS von Élise eintraf. * Sie machte sich Sorgen wegen der Ergebnisse der Röntgenuntersuchung. Alles in Ordnung, schrieb ich zurück. Ichliebte die moderne Welt: Man konnte den anderen verständigen, ohne mit ihm sprechen zu müssen. Meine Begabung zum Telefonieren war nie sonderlich ausgeprägt gewesen: Zu oft geriet das Gespräch ins Stocken. Und das Auflegen hatte immer so etwas Brutales. So konnte meine Frau wenigstens nicht das Entsetzen in meiner Stimme hören. Die Tabletten taten ihre Wirkung, änderten aber nichts an meiner Bestimmung: morgen Kernspintomographie. Alle versuchten, beruhigend auf mich einzuwirken, wahrscheinlich fühlten sie sich dazu verpflichtet, ich aber hörte nicht auf, meine Gedanken hin und her zu wälzen. Eine Kernspintomographie verordnete man nicht einfach so. Wie knapp die Hospitäler bei Kasse waren, war ja allgemein bekannt. Die Zeiten, in denen man leichtfertig irgendwelche

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