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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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kommst unangemeldet zu mir in die Praxis, gehst mit mir essen und willst mir erzählen, dass du mir gar nichts zu sagen hast?»
    «Genau, ich bin gekommen, weil ich dir gar nichts zu sagen habe. Nein, ich wollte nur einfach so mal vorbeischauen. So wie früher.»
    «Früher hast du so was aber auch nicht gemacht.»
    «Na gut, dann fang ich eben jetzt damit an …»
    Er hatte recht, ich war nie einfach so mal vorbeigekommen. Unsere Freundschaft verlief in geordneten Bahnen, und die unvermittelte Entgleisung warf folgende Frage auf: Konnten wir überhaupt abseits der üblichen Orte und jenseits der verabredeten Zeitpunkte Freunde sein? Édouards Leben stand, ganz wie meines, im Zeichen der Vorhersehbarkeit. Im Restaurant setzte er sich immer an denselben Tisch, der schon für ihn reserviert war. Mich faszinieren Leute, die solch feste Größen haben. Mir wäre es ein Gräuel, immer gleich erkannt zu werden, dann müsste ich ja reden.Und mir liegt nicht ständig das richtige Wort auf der Zunge. Niemand erkannte in dieser Ablehnung von Gewohnheiten die Auswüchse meiner Schüchternheit. Édouard war da ganz das Gegenteil von mir. Er mochte es, wenn er sofort begrüßt wurde, wenn man sich seiner annahm, wenn er Beachtung fand. Den Wirt des Restaurants duzte er, er fragte ihn «Wie geht’s dir?», worauf der Wirt «Ja, und wie geht’s dir?» erwiderte. Nach diesem höflichen Vorspiel gingen sie dazu über, sich über die Politik, das Wetter und ihre Geschäfte auszutauschen, all diese Themen waren binnen einer Minute erledigt, eine Art Rede-Quickie, der dann unausweichlich in die Bestellung mündete. Wenn der Ablauf bis hierher immer gleich blieb, so gab es doch auch einen Punkt, der Veränderungen unterworfen war:
das Tagesgericht.
Diese Komponente rief auf Seiten des Stammgasts jeden Tag einen kleinen Adrenalinschub hervor. Das Funkeln in seinem Blick war mir nicht entgangen, als er sich erkundigte: «Und was ist das Tagesgericht heute?»
    Ich konnte mir gut vorstellen, wie Édouard sonst allein hierherkam. Wie er seine Fleischbällchen verzehrte und dabei den lachsfarbenen Wirtschaftsteil des
Figaro
las. Mit dieser Zeitung war er ein Teil der Bourgeoisie, trug seine Sorge um die Finanzmärkte zur Schau, auch wenn ihn eigentlich nichts weniger interessierte als das. Bestimmt schielte er heimlich in Richtung der drei Frauen am Nebentisch, die ebenfalls öfter hier einzukehren schienen. Sie führten die immer gleiche Unterhaltung über dieselben Arbeitskollegen. Die Welt der Essensgutscheine blieb immer die alte. Die erste überlegte laut: «Öh … nehme ich jetzt Pizzaoder Pasta?» Ich hätte wetten können, dass sie das jeden Tag sagte. Kurz darauf verkündete sie: «Nein, ich nehme lieber einen Salat, das ist gesünder.» Von derlei Schuldgefühlen angesteckt, würden ihre Freundinnen dann auch einen Salat nehmen, Pizza oder Pasta aßen sie eigentlich nie. Aber bei der Frage Pizza oder Pasta hatte ich mich auch schon oft verzettelt. Man weiß nie, was man essen soll. Indem man sich für das eine entscheidet, löscht man die Möglichkeit des anderen aus. Eine Speisekarte ist eine starke Metapher für innere Zerrissenheit. Während die drei Frauen ihre Salate aßen, träumten sie von Mailänder Schnitzeln. Eines Tages würden sie den Salaten den Rücken kehren, um es mal mit Lasagne zu probieren. Aber damit wäre nichts gewonnen. Irgendwann hat man auch von Lasagne die Nase voll.
    Édouard schaute die drei Frauen an. Ich auch. Irgendwann würde er es vielleicht wagen, sie anzusprechen. Aber es ist schwierig, eine Frau einfach so anzusprechen. Wer macht so etwas schon? Wie findet man die richtigen Worte, ohne als schnöder Aufreißer dazustehen? Hätten sie doch nur Zahnprobleme, wünschte Édouard sich wohl, das würde die Sache leichter machen. Just in diesem Augenblick eröffnete er mir, dass er gegen ein außereheliches Abenteuer im Prinzip nichts einzuwenden hätte, das würde seinem Leben etwas mehr Würze verleihen.
    «Möchten Sie ein bisschen Chili-Öl auf die Pizza?», fragte der Ober.
    «Nein, nein danke …», entgegnete Édouard.
    Wir hatten je eine Pizza Quattro Formaggi bestellt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich auch nur einen Bissen hinunterbekommen würde, doch mein Magen führte ein unabhängiges Dasein, was mit meinem Rücken war, juckte ihn kaum. Édouard erstaunte mich. Er durfte natürlich Passantinnen begehren, aber er redete ja von einem richtigen Abenteuer. Obwohl total verliebt in seine

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