Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
Scharfschützenbeschuss, Raketenfeuer und Angriffen aus dem Hinterhalt. Die vom Regen ausgewaschene Luft leitete auch das Rattern des Gewehrfeuers mit erstaunlicher Klarheit weiter.
Wie alle anderen hatte auch ich die Schnauze von diesem sechsseitigen Krieg gestrichen voll. Der Einsatz in diesem Land forderte auch von meinen Jungs seinen Tribut. Sie waren jetzt viel ruhiger. Sie alberten nicht mehr so herum wie am Beginn des Einsatzes. Oft saßen alle acht nur ganz still in unserem Unterstand. Alle waren wach, aber keiner sprach ein Wort, bis ich in den kühlen, ruhigen Untergrundbunker trat und den vorbereitenden Befehl für eine Jeeppatrouille oder eine Aufklärungsmission gab. Dann standen sie alle immer wortlos auf und griffen sich ihre Ausrüstung, Waffen und Munition, als ob ich es mit einem Platoon von Stummen zu tun gehabt hätte. Außerhalb des Schutzzauns war es gefährlich, innerhalb war man genauso gefährdet. Sie hatten jedoch weder Angst noch waren sie gleichgültig, sie waren einfach müde. Seltsamerweise freuten wir uns auf die Einsätze, da wir zu Recht vermuteten, dass wir draußen im Schutz der Nacht sicherer sein würden, als wenn wir in unserem Unterstand blieben.
Ich hatte nur einen Problemfall in meinem Zug. Der Assistant Leading Petty Officer Stan. Er hatte sich bei unserem Honduras-Abenteuer noch sehr bewährt. Seitdem wir jedoch hier im Libanon gelandet waren, baute er immer weiter ab. In den ersten Oktoberwochen war er endgültig zu nichts mehr zu gebrauchen. Außerdem hatte er sich von seinen sämtlichen Zug-Kameraden entfremdet.
Stan hatte zwar eine Operator-Ausbildung, aber der ganze Beirut-Aufenthalt war für ihn offensichtlich von Anfang an eine einzige Tortur. Obwohl ich sein Verhalten nicht entschuldigen will, könnte man doch die Ansicht vertreten, dass er unter einer Kriegsneurose litt. Bei den meisten anderen Kampfeinsätzen operierten die SEAL-Teams aus sicheren Rückzugsgebieten heraus. Dort planten und probten sie ihre Missionen, drangen dann auf Feindgebiet vor, um sich nach der Erledigung des Auftrags wieder an einen sicheren Ort zurückzuziehen. Dann konnten sie sich in der Etappe erholen und das eine oder andere Bierchen trinken. In Beirut operierten wir nicht nur gegen sechs unterschiedliche Gegner, sondern unser Stützpunkt am Green Beach stand praktisch ununterbrochen unter Feuer. Wenn wir nicht gerade von Schiffen aus operierten oder Patrouillen mit der Sea Fox durchführten, schwebten wir ständig in Gefahr. Wir hatten hier weiß Gott genug einstecken müssen, aber der Einzige, der daran zu zerbrechen schien, war Stan.
Er war ein klein gewachsener, magerer und schmächtiger Mann, der irgendwie noch nicht ausgewachsen wirkte. Obwohl er in Wirklichkeit einer der Ältesten in unserem Platoon war, gaben ihm seine helle Haut und sein schwarzes Haar ein fast jungenhaftes Aussehen, das ihn von seinen Zug-Kameraden unterschied. Die Wallywelt sei kein Platz für einen Familienvater, pflegte er zu sagen. Manchmal trug er einen aufgesetzten Mut zur Schau, meist hatte er jedoch üble Laune, wobei der jeweilige Grad seines Missmuts vom Postempfang abhing. Er gehörte zu den Männern, die keine drei Sätze äußern können, ohne dabei ihre Frau, Hunde oder Kinder zu erwähnen. In unserem Platoon interessierte sich jedoch niemand für seine Familie. Für diese jungen Burschen, die es in die weite Welt verschlagen hatte, waren Ehefrauen und Kinder unverständliche Belastungen und eher ein Klotz am Bein. Auf diese Weise wurde seine Familie zu einer weiteren Eigenschaft, die ihn von den anderen trennte.
Wenn wir von Granaten oder Raketen beschossen wurden, suchte er sich stets eine besonders sichere Deckung. Manchmal zog er zwei Schutzwesten übereinander an und kroch unter sein Feldbett. Dies brachte ihm bereits am Anfang unseres Einsatzes den Spitznamen »Mr Safety« ein, durch den er eine Art traurige Berühmtheit erlangte. Dabei schien er den darin verborgenen Spott gar nicht zu bemerken. Er kultivierte diesen Namen regelrecht und bezeichnete sich selbst immer wieder als »Mr Safety«, bis es keiner mehr hören konnte.
Als das Scharfschützenfeuer im Laufe des Sommers immer stärker und genauer wurde, meldete er sich grundsätzlich nicht mehr freiwillig. Sich jenseits der Zufahrtssperre aufzuhalten, war für ihn einfach nur »dumm«, und Offiziere, die den Befehl dazu gaben, wollten sich nur »Orden verdienen«. Sein ständiges Motzen und seine Lahmarschigkeit brachten seine
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