Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
verloren aus. Ein Kind, das eine Uniform angezogen hatte und jetzt Soldat spielte.
Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte, deswegen fragte ich: »Was ist los?«
»Es ist das Ganze hier. Es ist das Leben da drüben am Ufer.« Ihm versagte die Stimme. »Du verstehst das nicht«, murmelte er schließlich. »Ich gehöre nicht hierher. Ich habe eine Familie.«
»Wir alle haben Familien.«
»Ich meine Kinder.«
Ich war nicht in der Stimmung für eine Therapiesitzung. Auch mir fehlten inzwischen weitgehend die Energie und das Engagement für diesen Einsatz. Ich würde Stan deshalb auch nicht auffordern, sich zusammenzureißen und ein Froschmann zu sein. Niemand sollte eine solche gequirlte Scheiße ertragen müssen, in der wir gerade saßen. Wir waren nur noch Zielscheiben. Wenn wir in zwei Stunden die Portland verließen, würden wir wieder zu Zielscheiben werden.
Geraume Zeit sagte keiner von uns ein Wort. Stan saß nur da und schaute auf den Boden. Eine Träne tropfte ihm von der Nasenspitze.
»Ich will nicht zum Green Beach zurück. Ich will auf dem Schiff bleiben. Ich habe die Schnauze voll.«
Für den Bruchteil einer Sekunde war ich angewidert, stinksauer, dass einer meiner Operators hier vor mir saß und mich anbettelte, ihm einen Druckposten zu verschaffen. Aber dieser Ärger war sofort wieder verflogen, allerdings hatte dies nichts mit irgendwelcher Sympathie, Freundlichkeit oder gar Mitleid zu tun, die ich ihm gegenüber empfunden hätte. Stan bedeutete mir überhaupt nichts. In den letzten Wochen hatten seine Angst und Schwäche bei mir jedes Gefühl für ihn erkalten lassen. Ich beruhigte mich, weil ich erkannte, was mich wütend gemacht hatte. Es war gar nicht dieser wimmernde, gebrochene junge Mann, der wie ein Häuflein Elend vor mir auf diesem Stuhl saß. Ich möchte mich hier nicht über ihn erheben. Tatsächlich reagierte ich wohl auf meine eigene Angst.
Feigheit widerte mich an, weil ich sie in mir selbst fürchtete. Ich hasste die Schwäche nicht, ich fürchtete sie. Ich hatte Angst, dass ich nicht tapfer genug sein könnte, um meine Männer auf die richtige Weise zu führen. Ich hatte Angst, dass ich nicht furchtlos genug oder klug genug oder tüchtig genug sein könnte, um das Leben derer zu schützen, die mir anvertraut worden waren. Meine Gefühle für Stan durften hier keine Rolle spielen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich keinerlei Sympathie für ihn hegte. Immerhin brachten seine Schwächen Männer in Gefahr, die täglich ihr Bestes und sogar noch mehr gaben. Ich verspürte ihm gegenüber nicht das geringste Mitleid, aber auch sein Leben hatte man mir anvertraut.
Es gab keinen Grund, ihn fertigzumachen. Stan hatte ja recht, der Libanon war kein Ort für einen Familienvater. Und Stan war für mich, unsere Mission und seine Kameraden ohne jeden Wert. Der falsche Mann am falschen Platz. Wir beide wussten, dass er nur eine leichte Beute, Kanonenfutter und eine wandelnde Zielscheibe war.
Aber das waren wir ja alle. Wir alle waren in derselben Lage, wir alle wandelten auf einem schmalen Grat, und er verdiente keine Sonderbehandlung, nur weil er die Hosen voll hatte.
»Sieh mal«, sagte ich. »Auch ich habe Angst. Ich wache jeden Morgen so wie du im Unterstand auf. Ich frage mich jeden Tag, ob dies wohl der Tag sein wird, an dem es mich erwischt.«
»Ich halte es einfach nicht mehr aus«, jammerte er.
»Das geht mir genauso.«
Sollte Stan Zuspruch oder aufmunternde Worte erwarten, würde er die ganz bestimmt nicht bekommen.
»Ich scheiße auf diese Mission«, sagte ich. »Ich scheiße auf den Libanon und ich scheiße auf die multinationale Friedenstruppe. Aber wir haben hier einen Job zu erledigen, wir, der 5. Zug. Es ist unser Job, diesen Einsatz hier zu überstehen und uns gegenseitig am Leben zu halten. Das werden wir auch tun – und zwar alle zusammen.«
»Ich habe getan, was ich konnte«, sagte er.
»Einen Scheiß hast du getan«, gab ich ihm Kontra. Stan blickte auf und ich senkte meine Stimme.
»Mir macht der Einfluss Sorgen, den du auf das Platoon hast.«
»Ich weiß, was sie über mich denken.«
»Sie müssen deine Arbeit mit erledigen. Sie machen das, was du nicht tun willst oder nicht tun kannst. Und das ist einfach nicht richtig.« Ich machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Du willst dir eine Erholungszeit verdienen? Dann komm ab und zu unter deinem Feldbett hervor. Ich werde dich nicht belohnen und dir einen Druckposten verschaffen, weil du Angst
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