Zum Wilden Einhorn
sagte das Wesen. Seine rechte Hängebrust war merklich größer als die linke. Die männlichen Geschlechtsteile waren von normaler Größe, schlaff, und verbargen die Scheide, die hinter ihnen liegen mußte. »Jener dort«, sagte es und deutete auf die Wand, hinter der der zerstückelte Kutscher lag, »kam ungebeten in meinen Tempel, um Blut zu vergießen.« Die nackte Gestalt kicherte. »Vielleicht lasse ich dich mit seinem Blut waschen, Held. Vielleicht fängt deine Buße damit an.«
»Ein wahnsinniger Zwitter, der ein bißchen was von Zauberei versteht«, sagte Samlor verächtlich. »Aber du wirst keinem mehr Sühne auferlegen, Kleiner. Du bist dem Tod geweiht, und ich habe meinen eigenen Zauber für deinesgleichen. Sie war nichts Besonderes, trotzdem wirst du für das, wozu meine Schwester sich gezwungen sah, mit deinem Leben bezahlen.«
»Willst du deine Zauber im Namen Heqts wirken, Held?« fragte der andere. Er breitete die Arme aus und lachte. »Ihr Tempel ist mein Tempel, ihre Diener sind meine Diener ... Das Blut ihrer Helden ist mein Opfer.«
Samlor befand sich zwanzig Fuß entfernt, eine volle und eine halbe Umdrehung. Er umklammerte das Medaillon mit der Linken und hoffte, genügend Zeit zur Beendigung seines Zauberspruchs zu haben. »Sehe ich wie ein Priester aus, daß ich von Göttern spreche?« sagte er. »Achte auf meinen Dolch, Irrer.«
Der andere lächelte und wartete, als Samlor die schwere Klinge hob. Ein Sonnenstrahl fiel darauf und verdrängte das Zwielicht.
»Bei der Erde, die dies gebar«, rief Samlor, »und dem Geist, der ihm Form verlieh;
Beim Holz dieses Griffes und dem Silbergeflecht, das es schützt;
Beim kalten Eisen der Klinge und dem weißglühenden Feuer, aus dem sie kam;
Beim Blut, das sie trank, und den Seelen, die sie verschlang ...
Deine Stunde ist gekommen!«
Samlor warf den Dolch. Er drehte sich glitzernd. Die Spitze war vorn und nur eine Handbreit von dem lächelnden Gesicht des Zwitters entfernt, als sie wie vom Blitz getroffen unter einem gewaltigen Donnerknall, der die ganze Stadt erschütterte, zerbarst. Die Druckwelle schleuderte Samlor, aus Ohren und Nase blutend, rückwärts. Wandfarbe und -Splitter von den Fresken der Kuppeldecke verdichteten die Luft.
Dyareela hob triumphierend die Arme und lachte kehlig. »Du gehörst mir als Opfer!«
Winzige Risse breiteten sich von der Kuppelmitte hoch oben aus. Samlor taumelte auf die Füße. Er würgte an dem Staub und wußte, daß er sterben würde, wenn er Glück hatte.
Da stürzte Heqts vergoldeter Bronzekopf herab und traf Dyareelas hochblickendes Gesicht wie ein zweihundert Tonnen schwerer Armbrustbolzen. Der Boden unter den Füßen zersprang. Der Kalksteinobelisk auf der Kuppel krachte in die Tiefe, daß die Erde unter seinem^ Aufprall erbebte.
Auf den Überresten von Reglis Kutscher rutschte Samlor aus. Ein Erdstoß warf ihn vorwärts und gegen die beschlagene Tür. Sie gab nach, und Samlor stürzte auf die Straße, gerade als die geborstene Kuppel ihrer Spitze dem Obelisken in einen Erdschlund folgte, der sich mit der tiefsten Note einer von Göttern gespielten Orgel aufgetan hatte.
Samlor lag auf der schmutzigen Straße. Rings um ihn brüllten und gestikulierten die Menschen. Der Cirdonier drehte sich auf den Rücken und blickte auf den einstürzenden Tempel.
Eine Wolke schimmernden Staubes erhob sich von ihm. Es gehörte keine große Phantasie dazu, in ihr den Kopf einer Kröte zu sehen.
Walegrin
Früchte von Enlibar
Lynn Abbey
Die Orangenhaine an den Hängen waren das einzige, was vom sagenhaften Glanz Enlibars geblieben war. Die tief gesunkenen Abkömmlinge der Herrscher eines Reiches, gegen das Ilsig oder Ranke unbedeutend gewesen wären, verdienten sich ihren kärglichen Lebensunterhalt durch die uralten, knorrigen Bäume. Jede unreife Frucht wickelten sie für die lange Karawanenreise in Blätter, und jede Ernte verschönten sie durch eine Neufassung ihrer Geschichte. Und weil sie geschickt darin waren, überlebten diese einst so stolzen Familien. In ihrer Begabung, alles in Geheimnisse zu hüllen, standen sie den S'danzo kaum nach, und wie die S'danzo würzten sie ihre Geschichten mit Wahrheit und machten es so den Zweiflern schwer.
Einmal im Jahr traten die Orangen von Enlibar ihre Reise nach Freistatt an. Wenn die faustgroßen Früchte fast reif waren, lud Haakon, der Leckereienhändler, sie auf seinen Karren, und bot sie in der Stadt und im Basar feil. Während dieser paar Tage verdiente er
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