Zum Wilden Einhorn
so viel, daß er sich teure Geschenke für Frau und Kinder, und die Versorgung seiner Geliebten für ein weiteres Jahr leisten konnte und noch genug Gold übrig hatte, um es zu Gonfred zu bringen, dem einzigen ehrlichen Goldschmied der Stadt.
Der Wert einer Orange war so hoch, daß Haakon das ungeschriebene Gesetz des Basars mißachtete und die besten Früchte für seine Kunden im Statthalterpalast zur Seite legte. Zwei der kostbaren Früchte waren jedoch angeschlagen. Haakon beschloß, sie nicht zu verkaufen, sondern mit seinen Freunden, dem Basarschmied und seiner jungen Frau, der Halbs'danzo Illyra, zu teilen.
Geschickt löste er die Schale der Frucht mit einem Silberwerkzeug mit Einlegearbeit, das nur diesem einen Zweck diente. Als er die Finger wegnahm, fiel die porige Schale zurück, und Illyra stieß ein erfreutes »Oh« aus. Sie griff nach einem Stück der angebotenen Frucht, drückte ein wenig Saft auf ihren Handrücken und leckte ihn mit der Zungenspitze auf. Das war die feine Art, den erlesenen Geschmack des blutroten Saftes zu kosten.
»Das sind die Besten, besser noch als letztes Jahr!« rief sie mit strahlendem Lächeln.
»Das sagst du jedes Jahr, Illyra. Die Zeit stumpft deine Erinnerung ab, der Geschmack bringt sie zurück.« Haakon leckte den Saft von seiner Hand weniger achtsam ab und verschmierte sich den Mund. »Und weil wir von abstumpfender Erinnerung sprechen: Dubro, erinnerst du dich an einen totbleichen Jungen mit strohblondem Haar und wilden Augen, der sich vor etwa fünfzehn Jahren in der Stadt herumtrieb?«
Haakon beobachtete Dubro, der die Augen schloß und nachdachte. Der Schmied war damals selbst noch ein sehr junger Bursche gewesen, aber er war schon immer langsam, entschieden und absolut zuverlässig in seinen Antworten. Illyra mußte zu der Zeit ein kleines Kind am Rockzipfel ihrer Mutter gewesen sein, darum kam Haakon gar nicht auf die Idee sie zu fragen oder auch nur in ihre Richtung zu blicken, während er auf Dubros Antwort wartete. Hätte er Illyra angeschaut, wäre ihm aufgefallen, daß sie zitterte und ein blutroter Tropfen des kostbaren Saftes in den Boden unter ihrem Stuhl sickerte.
»Ja«, murmelte Dubro, ohne die Augen zu öffnen. »An so einen erinnere ich mich: still, bleich - garstig.
Wohnte ein paar Jahre in der Garnison, ehe er verschwand.«
»Würdest du ihn nach all den Jahren wiedererkennen?«
»Nein. Er war einer dieser Bürschchen, die kindlich aussehen, bis sie zum Mann werden, und dann erkennt man das Kind in ihrem Gesicht nie wieder.«
»Glaubst du, daß sein Name >Walegrin< sein könnte?«
Von ihnen nicht beachtet, biß Illyra sich auf die Zunge und versuchte ihre Panik zu unterdrücken, ehe sie auffiel.
»Es könnte sein - nein, sicher bin ich mir nicht. Ich zweifle, daß ihn je jemand beim Namen nannte.«
Haakon zuckte die Schulter, als wäre die Frage ohnehin müßig gewesen. Illyra aß das restliche Stück ihres Teils der Orangen, dann ging sie hinter die Abtrennung in den kleinen Raum, in dem sie ihre Kunden empfing, zündete drei Räucherkegel an und kehrte mit einem Krug Wasser zu den Männern zurück.
»Illyra, ich habe deinen Mann gefragt, ob er mit mir zum Palast kommen würde. Ich habe zwei Säcke Orangen für den Prinzen, und ein Paar kräftige Arme zusätzlich würden mir die Arbeit erleichtern. Aber er sagt, er will dich hier nicht allein lassen.«
Illyra zögerte. Die Erinnerungen, die Haakon geweckt hatte, waren allzu frisch, aber schließlich lag das Ganze fünfzehn Jahre zurück, genau wie er gesagt hatte. Sie blickte zum bewölkten Himmel.
»Das kann er ruhig. Es wird vermutlich regnen, und außerdem hast du in dieser Woche mit deinen Orangen allen das Geld abgeknöpft«, sagte sie mit erzwungener Munterkeit.
»Na also, Dubro. Kümmere dich noch um dein Feuer, dann brechen wir auf. Ehe die ersten Tropfen fallen, bist du zurück und kannst weiter über deiner Arbeit schwitzen.«
Illyra blickte ihnen nach. Furcht stieg in der Schmiede auf - Furcht aus einer nur schwach erinnerten Kindheit. Visionen, die sie mit niemandem geteilt hatte, nicht einmal mit Dubro. Visionen, von denen auch ihre S'danzo-Gabe ihr nicht sagen konnte, was Wahrheit und was Phantasie war. Sie steckte ihr lockiges Schwarzhaar mit Kämmen hoch und ging wieder ins Innere. „
Als sie das Bett unter leuchtend bunten Überwürfen und ihre Jugend unter dicker Schminke verborgen hatte, war sie bereit, Kunden zu empfangen. Sie hatte mit ihrer Bemerkung
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