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Zum Wilden Einhorn

Titel: Zum Wilden Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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Seite und holte aus einem anderen Beutel eine handflächengroße Tonscherbe, die er behutsam auf den Samt legte.
    »Sag mir alles darüber: wo der Rest der Tafel ist; wieso sie brach; was die Zeichen bedeuten - alles!«
    Nichts war an dieser ausgezackten Scherbe, was die Veränderung gerechtfertigt hätte, die aus Walegrins Gesicht und Stimme bei ihrer Erwähnung sprach. Illyra sah ein Stück von einem ganz gewöhnlichen orangefarben Steingut mit dichtem, schwarzem Muster unter der Glasur, wie man es in jedem Haushalt finden mochte. Obwohl sie ihre S'danzo-Gabe benutzte, blieb das Stück eine ganz gewöhnliche Scherbe. Illyra blickte auf Walegrins eisig grüne Augen, die nachdenklich zusammengezogenen Brauen, das feste Kinn, das er auf das breite, mit Nieten verzierte Lederband, das er um den Unterarm trug, stützte, und hielt es für besser, ihm nicht zu sagen, was sie tatsächlich sah.
    »Ihre Geheimnisse sind tief in ihr verborgen. Ihre Tarnung ist auf den ersten Blick vollkommen. Nur durch eine eingehende Untersuchung kann man ihr die Geheimnisse entlocken.« Sie legte die Tonscherbe auf den Tisch zurück.
    »Wie lange wird das dauern?«
    »Schwer zu sagen. Die Gabe wird durch die symbolischen Zyklen verstärkt. Es dauert vielleicht länger, bis der Zyklus der Scherbe der gleiche ist ...«
    »Ich kenne die S'danzo! Ich war bei ihnen mit dir und deiner Mutter - treib also keine Basarspiele mit mir, kleine Schwester. Ich weiß zuviel.«
    Illyra lehnte sich zurück. Der Dolch fiel klirrend aus ihren Röcken auf den Boden. Walegrin bückte sich und hob ihn auf. Er drehte ihn in der Hand und stieß ihn unerwartet durch den Samt in die Tischplatte. Dann drückte er die Handfläche auf die Klinge und bog sie, bis der Griff die Platte berührte. Als er die Hand zurücknahm, blieb die Klinge verbogen.
    »Billiger Stahl. Moderner Tand. Der Tod für den, der sich darauf verläßt«, erklärte er und zog ein schmales Messer aus seinem Armband. Er legte es zu den Halsketten und Armbändern. »So, jetzt erzähl mir alles über die Scherbe.«
    »Keine Basarspiele. Wenn dein Gesicht nicht etwas anderes verriete, würde ich sagen, es ist eine Scherbe von einem ganz einfachen Steingutstück. Du hast sie schon lange. Es geht nichts aus ihr hervor, als die Verbindung zu dir. Aber vermutlich muß es mehr sein, sonst wärst du nicht hier. Du kennst die S'danzo und das, was du Basarspiele nennst, aber es stimmt - im Augenblick sehe ich nichts. Vielleicht sagt sie mir später mehr. Es gibt Möglichkeiten, die Seherkraft zu stärken - ich werde mich ihrer bedienen.«
    Er warf eine Goldmünze auf den Tisch. »Besorge, was du dazu brauchst.«
    »Nur meine Karten«, antwortete sie, verwirrt durch seine Geste.
    »Hol sie!« befahl er, ohne die Münze zurückzunehmen.
    Sie holte die abgegriffene Packung aus der Tiefe ihrer Bluse und legte die Scherbe auf sie, während sie weitere Kerzen und Räücherkegel anzündete. Sie ließ Walegrin zweimal abheben, legte die drei Häufchen vor sich und drehte von jedem die oberste Karte um.
    Die Flammendrei: ein Tunnel, der aus dem Licht in die Dunkelheit verlief, mit drei Kerzenhaltern an der Wand.
    Der Wald: ein Urwald mit knorrigen Bäumen, grünen Kronen und lebendem Zwielicht.
    Die Erzsieben: roter Ton, der Töpfer mit seiner Scheibe und dem Brennofen.
    Illyra blickte auf die Bilder, verlor sich in ihnen, ohne Harmonie oder Richtung zu finden. Die Flammenkarte war entscheidend, aber die Anordnung verriet ihr nichts über ihre Bedeutung. Der Wald, symbolisch für die Weisheit aller Zeit, erschien ihr unwahrscheinlich sowohl als Ziel ihres Bruders, als auch als seine Herkunft. Und die Sieben mußte mehr bedeuten, als offensichtlich war. Aber war die Erzkarte in ihrer Schöpfungsbedeutung zu sehen? Oder war der rote Ton das Omen für Blutvergießen, wie so oft, wenn diese Karte von Schurken abgehoben wurde?
    »Ich sehe immer noch nicht genug. Basarspiele oder nicht, jetzt ist nicht die geeignete Zeit, diese Sache anzugehen.«
    »Ich komme nach Sonnenuntergang wieder - wäre das eine bessere Zeit? Ich habe erst morgen nach Sonnenaufgang wieder Dienst.«
    »Für die Karten, ja, natürlich, aber Dubro hat um diese Zeit die Schmiede bereits geschlossen, und ich möchte ihn nicht mit hineinziehen.«
    Walegrin versuchte gar nicht, sie umzustimmen. »Ich verstehe. Dann komme ich um Mitternacht. Bis dahin dürfte er fest schlafen, außer du hältst ihn wach.«
    Illyra spürte, daß Widerspruch sinnlos wäre.

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