Zungenkuesse mit Hyaenen
alle jungen Mädchen, vielleicht sogar größere. Doch dann hat das Leben sie enttäuscht. Und wie es sie enttäuscht hat. Sie hätte sie alle haben können, den Chef der Sparkasse, den Oberbürgermeister, den Apotheker, den Direktor der JVA, den Mercedes-Filialleiter, den Polizeichef, aber sie hat Erwin Puvogel gewählt. In seiner Gestalt hat das Leben sie enttäuscht. Für Erwin Puvogel hat Irene alles aufgegeben: ihre Jugend, ihre Freiheit, sogar ihren klangvollen Namen Claussen. Für Erwin Puvogel hat sie sich mit der mittleren Reife begnügt, von ihren Auslandsstudienplänen Abstand genommen, sich ins Immobiliengewerbe eingefuchst, für ihn hat sie Kredite unterzeichnet, Entbehrungen ertragen und Fußball geguckt, und das alles nur, weil man sich an einer Weggabelung falsch entscheidet.
Ach, ich arme Jungfer zart, hätt ich nur genommen den König Drosselbart! Die ersten Ehejahre sind ruhig verlaufen. Puvogel ist ein stiller, fast wortkarger Mann, häuslich, das ja, aber gar nicht sinnlich, und wenn doch, dann ohne jedes Geschick. Er hat sie nie – und das war ihre Phantasie von Leidenschaft – stürmisch entkleidet und nackt aufs Bett geworfen, so wie man es in den Arztromanen liest, die Frau Puvogel in ihrem Nachtkasten stapelt. Er legt vielmehr große Sorgfalt auf ordnungsgemäße Entkleidung, bevor er mit wohligem Seufzen in seinen zweiteiligen kleinkarierten Pyjama schlüpft, und wenn er ihn erst mal anhat, dann ist die Chance auf ehelichen Beischlaf vertan. Frau Puvogel muss mit Bedacht in die wenigen Sekunden hineinmanövrieren, die Herr Puvogel beim Zubettgehen nackt dasteht, sie muss die Initiative ergreifen und wird dann im Allgemeinen, denn eins muss man Herrn Puvogel lassen, höflich ist er, nicht abgewiesen. Zwanzig Jahre sind so verstrichen, Puvogels haben es zu einigem Wohlstand gebracht, sind aber kinderlos geblieben. Zum Trost hat Herr Puvogel seiner Frau ein Zierfischaquarium mit automatischer Fütterungsanlage geschenkt. Die Ehe ist so weit gediehen, dass man bedenkenlos auf die goldene Hochzeit zutreiben kann, es würde sich nichts mehr ändern, und Frau Puvogel hat ihre Sehnsucht in einen Bauchtanz- und einen Flamencokurs kanalisiert, da plötzlich legt Herr Puvogel ein seltsames Verhalten an den Tag. Er färbt seinen schütteren Haarkranz und trägt Röhrenjeans, obwohl seine Figur, wie übrigens auch ihre, für solche Moden mit den Jahren eher unbrauchbar geworden ist. Herr Puvogel kauft ohne jede Vorankündigung einen Hund, auch noch einen Pudel, mit dem er fortan abends regelmäßig spazieren geht. Seine Gassigänge werden immer länger, und eines Abends, als Frau Puvogel, die die Geschäfte ihres Mannes inzwischen fast vollständig allein führt, an einer zwielichtigen Bar in Ost-Rizz vorbeiläuft, sieht sie ihren Erwin mit einem anderen Mann poussieren. Er steht draußen an die Hauswand gelehnt, seine Haarfusseln leuchten im Schein der Laterne rotstichig, und ein junger Mann drängt sich nicht nur mit Vehemenz gegen ihn, sondern schiebt ihm zusätzlich das Knie in den Schritt. Der Pudel ist an einen Laternenpfahl angeleint und fängt an zu bellen, als er sein Frauchen sieht, das, bodenlos schockiert, nach Luft schnappend, auf kleinen semmelgelben Stiefeletten davonläuft, als habe es den Teufel gesehen.
Noch am selben Abend lässt sie das Schloss auswechseln, am nächsten Morgen sucht sie einen Scheidungsanwalt auf. Finanziell hat sich die Sache mehr als gelohnt, wenn auch der untreue Ehemann ein lebenslanges Wohnrecht im Leuchtturm einklagt, der nun ihr gehört, aber für einen Neuanfang ist es ja wohl zu spät. Dass Männer ihre Frauen verlassen, um sich jüngeren zuzuwenden, kommt in denbesten Familien vor. Aber dass Erwin lieber schwul geworden ist, als weiter mit ihr zu leben, bis dass der Tod sie scheide, wie geschworen, das ist ein Vernichtungsschlag, von dem sich Irene Puvogel nie erholen soll. Sie wittert überall widernatürliche Neigungen, wirft Blicke wie Pfeile auf jeden allzu gepflegten Mann, ja, sie hasst Schwule so leidenschaftlich, dass sie am liebsten alle eigenhändig mit dem Küchenmesser kastrieren würde, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
GÖTTERLIEBLING
Tatkräftig war ich aufgebrochen, malade kam ich heim, drei Euro in der Tasche, einen brandneuen Mietvertrag, aber keine Mutter weit und breit, die meinen Schlafanzug bereitgelegt hatte. Sie hatte auch nicht angerufen. Keine Nachricht auf meiner Mailbox. Wie sehr ich sie vermisste! Und doch, keine zehn
Weitere Kostenlose Bücher