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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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»Strickmuster« an die Wand.
    Es schneite, wieder, immer noch. Ich fuhr hinunter ins Leuchtturmbistro. Klarhabbisch begrüßte mich mit Handschlag wie einen alten Freund.
    »Reichen zwei Euro für ein Frühstück und eine Zeitung?«
    »Klarhabbisch.«
    Er hieß Mahmud, aber für mich blieb er Klarhabbisch. Klarhabbisch verkaufte mir ein Mettbrötchen vom Vortag (heruntergesetzt von 1,20 Euro auf 60 Cent), einen Mittagskurier (60 Cent) und einen schwarzen Kaffee im Pappbecher (sonst 1 Euro glatt für den »Freundpreis« von 80 Cent). Wir plauderten ein wenig. Auch er hatte Geldsorgen. Der Laden warf zu wenig ab.
    Auf dem Heimweg streckte mir ein Bettler die Hände entgegen. Ich unterdrückte den Impuls, ihm mein Mettbrötchen zu überlassen. Ich hatte doch selber Hunger. Und gäbe ich ihm die knapp 80 Cent, die mir geblieben waren, wäre dann nicht ich der Bettler und er ein gemachter Mann?
    Vielleicht hatte er es sogar leichter als ich. Er war zäh, er war frei, er hatte keine Mutter, keine Allergien und ein Anrecht auf Wärmestuben. Aber ich? Was sollte ich nur schreiben? Ich war ja gar kein richtiger Journalist. Ich hatte bisher zwei Dutzend 1000-Zeiler für ein Wurstblatt geliefert, 10 Cent die Zeile, und nicht mal richtig gut. Und nun gleich so eine große Sache, so eine riesige Story, auf die ganz Rizz schauen würde und hinter der jeder her war?
    In meinen Anfängen als Reporter hatte mir Mutter fünf kleine Hefte geschenkt, von derselben Firma, auf die angeblich auchHemingway geschworen hatte. Ich hatte nie gewagt, sie zu benutzen, nicht für Feuerwehrfeste, Schützenvereinsfeiern und Eröffungspartys von Bankfilialen, aber nun hatte ich sie mitgenommen. Ich suchte sie und riss die Verpackungsfolie ab. Mit dem aufgeschlagenen leeren Heft in der einen Hand, dem Stift in der anderen war ich immerhin bewaffnet. Das gab mir ein dienstliches Gefühl. Ich stand vor der Wand mit den Artikeln, den Stift im Anschlag. Der Stift hing in der Luft und kam nicht zu Blatte. Ob es Hemingway manchmal ebenso gegangen war? Hatte er deswegen eines Tages sein Jagdgewehr gegen sich selbst gerichtet? Es war ja gar nicht so, dass mir nichts einfiel. Das Problem schien mir ein anderes zu sein. Ich war nicht an der Wahrheit interessiert. Das Zusammentragen von Fakten, das redliche Auflisten, das Schnüffeln, Entlocken und Aufdecken waren mir nicht in die Wiege gelegt. Ich hatte schon als kleiner Junge Orson Welles' »Citizen Kane« gesehen und gedacht, ein eigenes Zeitungsimperium, das wär was. Nun gab es laut Auskunft von Mutter zwei Wege, zu einem zu kommen. Entweder man erbte, das sei mir auch nicht in die Wiege gelegt, oder man lernte das Handwerk »von der Pike auf«. So war ich, nach süßen Jahren des Nichtstuns auf Mutters Sofa, mit 26 zum Grimmelshausener Anzeiger gekommen, erst als Praktikant, später als freier Mitarbeiter in der Lokalredaktion. Ich hatte die journalistische Arbeit jedoch immer halbherzig getan, der Funke war nie übergesprungen. Ich träumte von großen Geschichten in großen Redaktionen. Und hier war ich nun, praktisch am Ziel meiner Träume. Felicitas Müller sah mich an, als hörte sie meine Gedanken; die Lippen leicht geschürzt, eine Augenbraue hochgezogen.
    Ich schrieb irgendwas in meine Kladde, trank den erkaltenden arabischen Kaffee, würgte das zähe Mettbrötchen nach Junggesellenart im Stehen hinunter, was Mutter empört hätte, und schlug den neuen Mittagskurier auf.
    »Gift!« stand da auf Seite 1. Der Erfolgsproduzent und die schöneAutorin – diesmal gemeinsam abgebildet – hatten sogenannte »Hugos« getrunken, die sich als vergiftet herausgestellt hatten. Auf einem Foto war ein Hugo abgebildet. »Der Rizzer Cocktail der Saison«, stand darunter: Holunderblütensirup, Limette, Minze, Prosecco, Sodawasser.
    Auf dem anderen Bild lachte die Müllerin mit spitzen Eckzähnen. Zwei Raubtiere: Löwe und Luchs. Hatten sie sich zerfleischt? Wer hatte da wen vergiften wollen? Sie ihn, er sie, beide einander? Ich wusste noch zu wenig, aber für einen Liebestod schien mir die Gemütslage zu fehlen, für einen Mord das Motiv. Ein Abschiedsbrief war nicht gefunden worden, das Gift war immerhin namentlich genannt. Natriumpentobarbital hieß es, und seine Wirkungsweise war plastisch beschrieben: Überdosiert führte es zu einer Koppelung aus Einschlafen und Ersticken, in der Veterinärmedizin wurde es zur Tötung von Groß- und Kleintieren verwendet. Der Schlaf ging ohne Exzitationen rasch, schmerz- und

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