Zungenkuesse mit Hyaenen
Oscar-Nominierung hat sich seine Gage verzehnfacht.«
»Scheiße«, sagt Gritli, »so viel Kohle hab ich auch nicht. Aber drei kann ich reinstecken. Die Kohle von meinen Eltern liegt eh nur rum. Wir müssten einen Hauptdarsteller für acht suchen.«
Müller zuckte die Schultern. »Macht, was ihr wollt«, sagte er und trank sein Glas aus. »Ich widme mich jetzt einer neuen Aufgabe. Immerhin bin ich der Vorsitzende der Thanatos-Organisation.«
Er kicherte. »Gibt es noch Wein?«
Er nahm Gritlis Ausdruck, ohne ihn durchzulesen, auf seine Knie, verlangte nach einer Unterlage und unterschrieb. Dann sah er mich an. »Ich nehme an, wir wissen beide, dass ein frisch Querschnittgelähmter keine Kinder zeugen kann. Aber ich gebe zu, die Idee, dass du mein Sohn bist, gefällt mir trotzdem. Wir beschließen das jetzt hier einfach. Du bist sozusagen adoptiert.«
Ich schämte mich.
»Das Schlimmste ist«, sagte Müller, »dass ich froh war. Ich war froh, dass sie tot war und ich noch lebte. Der Mensch ist doch ein seltsames Tier! Ich hab Felicitas sehr geliebt, mehr als alle anderen Weiber, bis auf die Gräfi... wo war ich?«
»Sie haben sie geliebt.«
»Genau, aber ich hab sie auch gehasst. Es ist so viel passiert, sie wollte mich umbringen, ich hab sie fast in die Klapsmühle gebracht.« Er schüttelte den Kopf. »Man soll in Stiefeln sterben! Ich bin auch wirklich kein Feigling. Das Problem ist nur – ich lebe einfach gern! Ich würde gern wissen, wie es weitergeht. Eine Zeitlang hab ich gedacht, lieber schmiere ich die Wände eines Demenzheims mit Scheiße voll, als für immer mausetot zu sein. Und jetzt – was hat der Teuben mir für Zeug gespritzt? Es geht mir gut! Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Ich hab das Testament im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte unterschrieben, lasst uns was singen. Wollen wir singen, bevor ich wieder ein Gemüse bin?«
Als Müller das Volkslied »Im schönsten Wiesengrunde« anstimmte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war, als sänge er sein Grablied. Ich kannte den Text, alle drei Strophen, Mutter hatte es mir oft vorgesungen, und zu meiner Überraschung stimmte auch Gritli mit ein:
» Hör ich das Mühlrad gehen
Ich weiß nicht, was ich will Ich möchte am liebsten sterben
Da wär’s auf einmal still.«
»Wie wollen wir nun verfahren?«, fragte ich, nachdem der letzte Ton verklungen war. »Soll ich dich wieder zu Teuben bringen? Er hat dieses Wundermedikament, und damit hat er Macht über dich. Was wollen wir tun?«
»Eigentlich wollte ich nächste Woche meinen sechzigsten Geburtstag feiern, aber jetzt habe ich einen Sohn, einen Erben ...«
»Zwei Erben«, sagte Gritli und zeigte auf das Papier, das ich mir nicht mal durchgelesen hatte.
»Zu jeweils fünfzig Prozent an Michael Rothe und Grit Hürlimann.« Diese kleine Bitch!
»... und deswegen nehme ich nicht länger dem lieben Gott die gute Luft weg. Ich fahre zur Hölle, wie man so schön sagt. Felicitas, du süße Sau, ich komme!«
Müller öffnete seinen Sargring, entnahm ihm eine Kapsel und spülte sie mit billigem Weißwein hinunter. Er tätschelte mir das Gesicht, küsste Gritli, die ihn nun fast zärtlich anschaute, die Fingerspitzen und schrieb unter das Testament: »Ich scheide freiwillig aus dem Leben.«
Er sah mich noch einmal an. »Und vergiss nicht, mein Goldjunge: Ein Feldherr darf nicht über jedes Opfer ...« Dann schlief er ein.
MASKERADE
Kurz vor Mitternacht tat Müller seinen letzten Atemzug. Gritli und ich nahmen die Formalitäten in die Hand. Ein Amtsarzt – mit Bedacht nicht Teuben – stellte den Tod fest. Müllers Leiche wurde von der Gerichtsmedizin konfisziert, um die Mitwirkung von Dritten auszuschließen. Der Mittagskurier titelte: »Aus! Müller folgt Müllerin ins Grab!«
Obwohl uns die Exklusivgeschichte von Müllers Tod in den Fingern juckte, vereinbarten Gritli und ich vorerst Schweigen. Ich sagte Gritli, dass ich Big Ben abends persönlich von der Sache in Kenntnis setzen würde. In Wirklichkeit hatte ich den Vorsatz, Big Ben zu belügen. Ich würde ihn in seiner Theorie bestärken, dass es kein Mord, kein Totschlag, sondern ein romantischer Doppelselbstmord gewesen sei, dessentwegen Müller die Müllerin um einige Monate überlebt hatte. Das war es, was die Leute lesen wollten.
Ich dachte immerzu an Mutter. Das Bild, das ich von ihr gehabt hatte, lag in Scherben. Sie war keine überlegene, respektable Person, sie war nicht die Herrscherin meines Kontinents.
Weitere Kostenlose Bücher