Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
zwischen siebzehn und siebzig fühlte sich zu dem hoch gewachsenen, schlanken Mann mit dem schmalen Gesicht und den märchenhaft blauen Augen hingezogen. Eine nach der anderen war damals mit einem selbst gebackenen Kuchen vor seiner Tür im Junggesellenwohnheim erschienen.
Danach hatten alle ungeduldig gewartet, welche er erwählen würde.
Sie warteten . Und warteten noch immer.
Im Laufe der Zeit war er tatsächlich mit einigen ausgegangen und hatte sich mit allen angefreundet, doch man hatte ihn nie über längere Zeit in Begleitung ein und derselben Frau gesehen. Dieser Umstand weckte nach wie vor in vielen gewisse Hoffnungen, gab dagegen unter der übrigen Belegschaft noch mehr Anlass zu den verschiedenartigsten Gerüchten. Er flirtete für sein Leben gern und begegnete allen zuvorkommend, aber er verteilte seine Aufmerksamkeit gleichmäßig, ohne eine von ihnen zu bevorzugen. Stets fand er ein freundliches Wort und ein Lächeln für jede einzelne der Mitarbeiterinnen und die weiblichen Patienten, doch bislang hatte er sich für keine entschieden.
Und diese n vor Kraft, Energie und Lebendigkeit strotzenden Mann, ausgerechnet ihn, der immer da war, um anderen zu helfen, in einem solch hilflosen Zustand erleben zu müssen, obwohl sie tagtäglich mit Schmerzen und Leid und Tod konfrontiert waren, riss ihnen das Herz entzwei.
E ine gefühlte Ewigkeit verging, ehe sich schließlich die Schwingtür zum OP-Bereich öffnete und der Chefarzt, Professor Vogel, auf den Gang trat. Erschöpfung lag auf seinem zerfurchten Gesicht. Mit einer müden Handbewegung zog er sich die grüne Kappe vom Kopf.
Er schaute sich um, doch anstatt seine Mitarbeiter zurück an die Arbeit zu scheuchen, räusperte er sich und erklärte: „Es war knapp, wirklich sehr knapp. Es hat nicht viel gefehlt und er wäre uns innerlich völlig weggeblutet. Aber wir haben ihn wieder, Gott sei Dank! Jetzt können wir nur hoffen und beten. Der Rest liegt ganz allein bei ihm.“
Professor Vogel hatte sich bereits zum Ge hen gewandt, als er innehielt und sich noch einmal zu den Schwestern umdrehte. Sein Blick verharrte auf der Ältesten unter ihnen, die ihre ganze Willenskraft aufbieten musste, um nicht schockiert die Luft anzuhalten.
„ Erika.“ Mit einer knappen Kopfbewegung deutete er in Richtung seines Büros, wo er ihr die Tür aufhielt.
„ Nehmen Sie einen Moment Platz. Zur Abwechslung werde ich uns heute einen Tee kochen.“ Er bemühte sich um einen unverfänglichen Ton, die Oberschwester dagegen ließ sich nicht täuschen. Sie kannte den Professor als ein Muster an Beherrschung und wusste, diese ruhige Stimme verriet in den seltensten Fällen seine wahren Gefühlen.
Nachdem er ihnen beiden Tee eingeschenkt hatte, ließ er sich Erika gegenüber in seinen schweren Ledersessel sinken. Langsam lehnte er sich zurück und holte tief Luft.
„So, nun ist erst einmal eine Pause fällig auf diesen Schreck. Wir sind nicht mehr die Jüngsten, was, Erika? Gehören praktisch schon zum Inventar dieses ehrwürdigen Hauses.“
Nein, ihm war nicht nach Scherzen zumute und auch die Schwester reagierte nicht darauf. Schuldbewusst hielt sie die Augen gesenkt, knetete unaufhörlich ihre faltigen Hände und wartete auf die unvermeidliche Strafpredigt des Chefarztes.
„ Wir beide kennen diesen Jungen so gut und lange wie kaum ein anderer. Ach, was rede ich! Wir zwei kennen ihn am besten.“ Die Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Angel Stojanow wurde in ihm lebendig, wie immer verbunden mit einer Mischung aus Wut, maßlosem Entsetzen und Hilflosigkeit. Er seufzte tief. „Und das ist gut so. Wir haben bereits eine ganze Menge mit ihm durchgemacht, noch mehr Ängste um ihn ausgestanden und alle möglichen Dummheiten ertragen müssen. So knapp wie heute allerdings …“
Er stieß die Luft hörbar aus. Der Löffel schlug klirrend an das Glas, als er eine Spur zu heftig den Zucker in seinem Tee umrührte. Die Anspannung war noch immer dermaßen groß, dass er das Zittern seiner Hände, welches er bisher vor Erika verborgen gehalten hatte, nicht unter Kontrolle brachte.
„Es war Rettung in letzter Sekunde. Hätten wir ihn bloß einen Augenblick später gefunden … Ich will es mir lieber nicht ausmalen. Es ist mir vollkommen schleierhaft, wie etwas Derartiges passieren konnte. Für Überraschungen hatte Angel von jeher ein sicheres Gespür, doch das scheint mir heute der Gipfel des Erträglichen gewesen zu sein. Irgendwie hat er es geschafft, das Ende einer
Weitere Kostenlose Bücher