Zusammen ist man weniger allein
Das hier vor allem, das wäre klasse. Ein kleiner Platz direkt hinter dem Pantheon. Ein ehemaliges Café mit viel Charme, ich bin sicher, es würde dir gefallen.«
Sie trank ihren Cognac aus.
»Du spinnst ja total. Weißt du, was das kostet, ein Restaurant aufzumachen?«
»Nein.«
»Du spinnst ja total. Na gut. Ich muß los, meine Sachen zusammenpacken. Ich bin heut abend bei Philou und Suzy zum Abendessen, kommst du auch?«
Sie hielt ihn am Arm fest, um ihn am Aufstehen zu hindern.
»Ich habe Geld.«
»Du? Du lebst doch wie eine Bettlerin!«
»Ja, weil ich es nicht anrühren will. Ich will die Flocken nicht, aber dir würde ich sie gern geben.«
»…«
»Weißt du noch, ich habe dir doch erzählt, daß mein Vater bei einer Versicherung war und daß er bei einem … einem Arbeitsunfall gestorben ist, weißt du noch?«
»Ja.«
»Na ja, er hatte alles im voraus geregelt. Er wußte ja, daß er mich verlassen würde, deshalb hat er wenigstens dafür gesorgt, mich abzusichern.«
»Das versteh ich nicht.«
»Eine Lebensversicherung. Auf meinen Namen.«
»Und warum … warum hast du dir dann nie ein Paar anständige Treter gekauft?«
»Sage ich doch, weil ich das Geld nicht will. Es riecht nach Aas. Ich wollte meinen Papa lebend. Nicht das hier.«
»Wieviel?«
»Genug, damit dich ein Banker hofiert und dir einen guten Kredit anbietet, würde ich sagen.«
Sie hatte ihr Heft wieder aufgenommen.
»Warte, ich glaube, ich habe es irgendwo gemalt.«
Er riß es ihr aus den Händen.
»Hör auf, Camille. Hör auf damit. Hör auf, dich hinter diesem Scheißheft zu verstecken. Hör auf. Ein einziges Mal wenigstens, bitte.«
Sie betrachtete die Theke.
»He! Ich rede mit dir!«
Sie betrachtete sein T-Shirt.
»Nein, mich. Sieh mich an.«
Sie sah ihn an.
»Warum sagst du nicht einfach: ›Ich will nicht, daß du gehst‹? Ich bin wie du. Mir ist das Geld scheißegal, wenn ich es für mich allein ausgeben soll. Ich … Ich weiß nicht, verdammt! ›Ich will nicht, daß du gehst‹, das kann doch nicht so schwer sein, oder?«
»Ichabsdirschngesagt.«
»Was?«
»Ich hab’s dir schon gesagt.«
»Wann?«
»Am 31. Dezember.«
»Jaaa, aber das zählt nicht. Das war wegen Philou.«
Stille.
»Camille?«
Er artikulierte deutlich:
»Ich … will … nicht … daß … du … gehst.«
»Ich …«
»Gut so, weiter … Will …«
»Ich habe Angst.«
»Wovor?«
»Vor dir, vor mir, vor allem.«
Er seufzte.
Und seufzte noch einmal.
»Schau her. Mach’s wie ich.«
Er baute sich auf wie ein Bodybuilder bei einem Schönheitswettbewerb.
»Ball die Hände zur Faust, mach den Rücken rund, winkle die Arme an, verschränke sie und halte sie unters Kinn. So.«
»Warum?« fragte sie verwundert.
»Weil. Du mußt deine Haut sprengen, die ist zu klein für dich. Siehst du. Du erstickst darunter. Du mußt da endlich raus. Komm schon. Ich will hören, wie die Naht auf deinem Rücken platzt.«
Sie lächelte.
»Scheiße, nee. Behalt’s für dich, dein blödes Lächeln. Ich will es nicht. Das ist es nicht, was ich von dir will! Ich will, daß du lebst, verdammt noch mal! Nicht daß du mich anlächelst! Dafür gibt es die Damen von der Wettervorhersage. Okay, ich muß los, sonst reg ich mich nur auf. Bis heut abend dann.«
21
Camille grub sich inmitten von Suzys fünfzigtausend buntbemalten Kissen eine Höhle, rührte ihr Essen nicht an und trank genug, um an den richtigen Stellen lachen zu können.
Auch ohne Dias durften sie eine Quizsendung über sich ergehen lassen.
»Aragonien oder Kastilien«, präzisierte Philibert.
»… sind die Brustdrüsen des Schicksals!« wiederholte sie bei jedem Foto.
Sie war fröhlich.
Traurig und fröhlich.
Franck ging recht bald, weil er mit den Kollegen von seinem Franzosenleben Abschied nehmen wollte.
Als Camille sich endlich erhob, begleitete Philibert sie bis auf die Straße.
»Meinst du, es wird gehen?«
»Ja.«
»Soll ich dir ein Taxi rufen?«
»Nein, danke. Ich laufe lieber.«
»Na dann, einen schönen Spaziergang.«
»Camille?«
»Ja?«
Sie drehte sich um.
»Morgen … Siebzehn Uhr fünfzehn am Gare du Nord.«
»Kommst du?«
Er schüttelte den Kopf.
»Leider nein. Ich muß arbeiten.«
»Camille?«
Sie drehte sich noch einmal um.
»Aber du. Geh du hin für mich.
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