Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Vorsitzenden heraus.
So war er denn – obwohl Vorsitzender der Socialist Party of America – letztlich ohne Macht. Bemisst man Engagement an der errungenen Macht, ist Thomas’ Engagement für den Sozialismus wie das von Dorothy Day oder A. D. Gordon bedeutungslos. Er setzte jedoch den Gedanken in die Praxis um, dass man zwar die von der Realität gezogenen Grenzen erkennen muss, sich aber nicht selbst durch diese Grenzen definieren sollte. Dadurch setzte er der Linken ein soziales Beispiel. Durch seinen Umgang mit anderen Menschen wurde er gleichsam zum Gewissen für die Gewerkschaften seiner Zeit, die in Machtkämpfe verstrickt waren und nach anderen Regeln spielten. Thomas zwang die Gewerkschaftsführer, darüber nachzudenken, warum das Leben in ihren Organisationen austrocknete, seit man sie nach den 1930er Jahren immer stärker strukturierte und bürokratisierte. Die Gewerkschaftsführer wussten, wie sie formell im Namen der Gewerkschaftsmitglieder sprechen, nicht aber, wie sie sich informell auf die Mitglieder einlassen konnten, mit der Folge, dass die freiwillige Mitgliedschaft zurückging. Seid radikaler, drängte Thomas sie – und das hieß nicht, mehr zu fordern, sondern sich anders zu verhalten. Dieselbe provokante Kritik äußerte er an anderen amerikanischen Liberalen.
Von den drei Formen kommunalen Engagements war die von Thomas praktizierte am stärksten auf informelles Vergnügen ausgerichtet. Und genau deshalb war seine Politik im größeren Amerika zum Scheitern verurteilt. Ein bleibendes Beispiel ist Thomas nicht wegen der Themen, die er predigte, sondern wegen der Art seines Engagements für andere.
Das also sind drei Formen des Engagements für die Gemeinschaft, wie sie von den Kindern der Weltwirtschaftskrise praktiziert wurden: auf Glauben, auf Schlichtheit und auf geselligen Umgangsformen basierendes Engagement. Die drei Formen betreffen Fragen der Kooperation, die über ihre eigene Zeit hinausweisen und nicht auf die Linke beschränkt sind. Die kommunale Kooperation lenkt unseren Blick auf die Frage, welche Bedeutung Probleme der Lebensqualität für die alltägliche Erfahrung besitzen.
Das übergeordnete Thema dieser Studie war die Tatsache, dass Kooperation die Qualität des sozialen Lebens verbessert. Die lokale Gemeinschaft scheint der beste Ort für das Streben nach Lebensqualität zu sein, aber die Sache ist recht kompliziert. Wenn ich mich in diesem Kapitel auf die Verhältnisse in Armenvierteln konzentriert habe, so teilweise aus autobiographischen Gründen, aber auch weil sie die schwierigen Fälle darstellen. Es sind Orte, die Menschen wie meine Freunde aus Kindertagen erst einmal überleben müssen und die sie in der Regel verlassen, wenn sie sie überleben. Es sind zudem jene Orte, die die »neuen Konservativen« ihrem mittellosen Schicksal überlassen wollen. Auch bei den Überlebenden stellen sich komplizierte Fragen, solche der Moral, der Bindung, des Verlusts, der Trauer und der Berufung, die Menschen in diesem Überlebenskampf aufrechterhält. Kein einfaches Glücksversprechen antwortet auf diese gelebte Realität.
Kann Gemeinschaft selbst zu einem »Beruf« werden? Glaube, Identität und informelle Geselligkeit zeigen Wege auf, wie Gemeinschaft unter Armen und Marginalisierten Bestand haben kann, allerdings nur in beschränktem Umfang. Als Freud nach seinem Rezept für ein gutes Leben gefragt wurde, antwortete er bekanntlich: »Lieben und Arbeiten.« Gemeinschaft kommt in diesem Rat nicht vor, das soziale Glied ist amputiert. Hannah Arendt verstand Gemeinschaftsleben als Berufung – allerdings nicht die Art von Gemeinschaft, wie sie der unmittelbaren Erfahrung der meisten Armen entspricht. Sie dachte an eine idealisierte politische Gemeinschaft gleichberechtigter Akteure. Wir wollen uns Gemeinschaft stattdessen als einen Prozess des In-die-Welt-Kommens vorstellen, einen Prozess, in dem die Menschen den Wert direkter persönlicher Beziehungen und die Grenzen solcher Beziehungen herausarbeiten. Für Arme oder Marginalisierte sind die Grenzen politischer und ökonomischer Art. Der Wert ist sozialer Natur. Auch wenn Gemeinschaft nicht das ganze Leben zu füllen vermag, verspricht sie doch Freuden ernsthafter Art. Das war der Grundgedanke, von dem Norman Thomas sich leiten ließ, und ich denke, er eröffnet eine gute Möglichkeit, den Wert der Gemeinschaft zu begreifen, auch wenn man nicht in einem Ghetto lebt.
******* Meine Familie war recht gut mit ihm bekannt.
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