Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
ein Schritt zur Heilung sein kann, zu der es letztlich, wenn überhaupt, im Jenseits kommt. Das einfache Leben im Kibbuz bedeutete daher etwas anderes als das Leben in selbstgewählter Armut und im Dienst am anderen, das Day anstrebte.
Aufgrund des Wegs, den der Zionismus nach Gordons Tod einschlug, ist es heute schwer, seine Schriften zu lesen. Wie der Theologe Martin Buber glaubte Gordon, Juden und Palästinenser könnten und sollten das Land gemeinsam und gleichberechtigt bewohnen. Gordon war der festen Überzeugung, die Juden sollten niemals vergessen, was 3000 Jahre Diaspora sie gelehrt hatten, nämlich dass man andersartige Menschen gerecht behandeln müsse.
Irritierend an Gordon ist unter anderem seine Überzeugung, einfache Kooperation könne das Herz heilen. Für uns ist er jedoch wichtig wegen des Gedankens, dass Kooperation die Identität zu stärken vermag. Viele Aktivisten in bedrängten Gemeinschaften teilen diese Ansicht. Sie ist die lokal ausgerichtete Fassung jener eher national oder international ausgerichteten Formen von Solidarität, die im Jahr 1900 die politische Linke bewegte. Mit der lokalen Ausrichtung verändert sich aber auch der Charakter der gemeinsamen Identität. Sie hängt nun stärker vom direkten Bezug zu den Erfahrungen anderer Menschen ab, die man gut kennt. Statt auf Appellen an das Jüdischsein oder an die afroamerikanische Erfahrung baut die gemeinsame Identität nun auf der Geschichte auf, die Sie und ich gemeinsam haben.
Der Gedanke einer auf Schlichtheit basierenden Gemeinschaft findet sich keineswegs nur bei Gordon als dem philosophischen Vater des Kibbuz. Viele Gemeinschaftsaktivisten akzeptieren dieses Rezept, ohne groß darüber nachzudenken. Es führt allerdings zu demselben Problem wie in der Catholic-Worker-Bewegung: Die Kommunikation mit andersartigen Menschen wird zu einer Täuschung. In beiden Fällen liegt der Vorteil in der Betonung einer lokalen, offenen Kooperation, die aus freien Stücken von unten nach oben aufgebaut wird. Den Bolschewiken warf Gordon vor, sie vermengten den Sozialismus mit dem Nationalismus. In seinen Augen konnte es keinen Fünfjahresplan für Kooperation geben. 27 Die soziale Frage, wie man in einer komplexen Gesellschaft lokal leben kann, blieb allerdings unbeantwortet.
Die Freuden der Gemeinschaft
Der Amerikaner, der am intensivsten nach einer Antwort auf diese Frage suchte, war Norman Thomas (1884–1968), der über weite Teile des 20. Jahrhunderts die Socialist Party of America führte. Er versuchte, die europäische Sozialdemokratie mit der amerikanischen Vorliebe für lokales Handeln zu vereinen. Das Mittel, mit dem er das zu erreichen hoffte, war der informelle Charakter sowohl seines eigenen Verhaltens als auch seines Gemeinschaftsverständnisses. Er versuchte, die Gemeinschaftserfahrung der Kooperation zu einem dauerhaften Vergnügen zu machen.
Sein Engagement wurde durch die Tatsache auf die Probe gestellt, dass er kaum Chancen hatte, Wahlen zu gewinnen. In den 1930er und 1940er Jahren musste er als Präsidentschaftskandidat erleben, dass Roosevelts liberaler New Deal immer mehr Wähler von seiner Partei abzog, während Stalins Kommunisten sie von der extremen Linken her bedrängten. 28 Der Beruf des Politikers nahm daher für ihn eine weitere Wendung. Er bemühte sich, das Soziale wieder in den Sozialismus hereinzuholen.
Wie viele amerikanische Radikale kam Norman Thomas ursprünglich aus dem religiösen Bereich. Er begann sein öffentliches Wirken als christlicher Pastor, der sein geistliches Amt schließlich aufgab, um Arbeiter zu vertreten und über sie zu schreiben. Die 1930er Jahre waren seine prägende Zeit. Unter seiner Führung wurde aus der League for Industrial Democracy schließlich die Socialist Party of America. Thomas verstand die sozialistische Partei eher als Sammler und Verteiler von Informationen für linksgerichtete Gewerkschafter und Basisaktivisten denn als zentrale Lenkungsinstanz: als eine Partei im Dienste der Zivilgesellschaft. Sein Radikalismus ergab sich aus seinem Verständnis von Amerika als einer Zivilgesellschaft von Vertriebenen. Er hielt den »Schmelztiegel«, in dem die Menschen ihre frühere Geschichte verloren, für eine Illusion. Die tatsächlichen oder symbolischen Erinnerungen der Einwanderer waren zu wichtig, als dass sie jemals ausgelöscht werden konnten. Dasselbe galt für die Rasse: Amnesie war kein Rezept für Rassenharmonie. Noch scharfsinniger war seine Deutung der
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