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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Unterschieden stimulieren zu lassen. Der Rückzug, von dem Putnam spricht, ist eine Möglichkeit, solchen Provokationen aus dem Weg zu gehen. Eine weitere ist die Homogenisierung des Geschmacks. Eine kulturelle Homogenisierung zeigt sich in der modernen Architektur, der Kleidung, in Fastfood, Popmusik und Hotels – einer endlosen globalisierten Liste. 8 »Alle sind im Grunde gleich – dieses Gefühl ist Ausdruck eines auf Neutralität bedachten Weltbilds. Der Wunsch, Unterschiede zu neutralisieren und zu domestizieren, erwächst (wie ich noch zeigen möchte) aus einer Angst vor dem Unterschied, die sich mit der Ökonomie der globalen Konsumkultur überschneidet. Daraus resultiert unter anderem eine Schwächung der Bereitschaft, mit Menschen zu kooperieren, die hartnäckig anders bleiben.
    Aus solchen materiellen, institutionellen und kulturellen Gründen ist unsere Zeit schlecht gerüstet für die Herausforderungen anspruchsvoller Kooperation. Ich werde die Schwäche auf eine Weise zu erfassen versuchen, die zunächst abwegig erscheinen mag: Die moderne Gesellschaft führt zu einer »Dequalifizierung« im Blick auf die Kooperation. Der Ausdruck »Dequalifizierung« bezieht sich ursprünglich auf die Ersetzung von Menschen durch Maschinen in industriellen Produktionsprozessen, auf den Ersatz qualifizierter Facharbeiter durch komplexe Maschinen und Apparate. Im 19. Jahrhundert kam es zum Beispiel in der Stahlerzeugung zu solch einer Dequalifizierung, so dass den Facharbeitern nur einfache, grobe Arbeiten blieben. Heute ist es die Logik der Robotik, die darauf abzielt, sowohl in der Produktion als auch bei den Dienstleistungen teure menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Auch im sozialen Bereich kommt es zu einer Dequalifizierung. Menschen verlieren die Fähigkeit, mit hartnäckigen Unterschieden umzugehen, wenn materielle Ungleichheit sie isoliert und kurzzeitige Arbeitsverhältnisse ihre sozialen Kontakte oberflächlich werden lassen und Angst vor dem Anderen auslösen. Wir sind dabei, die für eine komplexe Gesellschaft unerlässliche Kooperationsfähigkeit einzubüßen.
    Meine Thesen gründen nicht in nostalgischen Gefühlen für eine märchenhafte Vergangenheit, in der angeblich alles besser war. Die Fähigkeit der Menschen, in komplexer Weise zu kooperieren, wurzelt vielmehr in den frühesten Phasen der menschlichen Entwicklung und verschwindet auch bei Erwachsenen nicht einfach. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die moderne Gesellschaft diese Entwicklungsressourcen vergeudet.

Kooperationsfähigkeit in der frühen Kindheit

    Die Kinderpsychologin Alison Gopnik hat beobachtet, dass man das Leben der Kleinkinder als ein sehr fließendes Werden begreifen muss. In den ersten Jahren der kindlichen Entwicklung kommt es zu erstaunlich schnellen Veränderungen der Wahrnehmung und Empfindung, und diese Veränderungen prägen unsere Fähigkeit zur Kooperation. 9 In uns allen steckt die kindliche Erfahrung der Beziehung und Verbindung zu jenen Erwachsenen, die uns umsorgt haben. Als Kleinkinder mussten wir lernen, mit ihnen zu kooperieren, um zu überleben. Diese kindlichen Experimente haben Ähnlichkeit mit Proben, wobei die Kinder diverse Möglichkeiten des Umgangs mit Eltern und Gleichaltrigen ausprobieren. Genetische Muster bilden einen Rahmen, doch Kleinkinder erforschen auch ihr eigenes Verhalten, experimentieren damit und verbessern es (wie alle jungen Primaten).
    Im vierten und fünften Lebensmonat wird Kooperation zu einer bewussten Tätigkeit, wenn Säuglinge mit ihrer Mutter beim Stillen zusammenzuarbeiten beginnen. Das Kind reagiert nun auf verbale Reize oder Hinweise hinsichtlich seines Verhaltens, auch wenn es die Worte noch nicht versteht, etwa indem es auf bestimmte Stimmlagen hin seine Stellung anpasst, um das Stillen zu erleichtern. Dank stimmlicher Reize findet nun auch Antizipation Eingang in das Verhaltensrepertoire des Kindes. Im zweiten Lebensjahr reagieren Kleinkinder in ähnlicher Weise auch auf andere Kinder, indem sie die Bewegungen der anderen antizipieren. Wir wissen heute, dass dieses durch Reize ausgelöste Verhalten – die Stimulation von Antizipation und Reaktionen – dem Gehirn hilft, bislang schlafende neuronale Pfade zu aktivieren, so dass Kooperation die mentale Entwicklung des menschlichen Kindes ermöglicht. 10
    Die Hinweise, die nicht zu den Primaten zählende soziale Tiere geben, sind in dem Sinne statisch, dass sie unmittelbar lesbar sind. Wenn Bienen voreinander »tanzen«,

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