Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
oder der Vermeidung von Frustration in schwierigen Diskussionen reicht. Für diese Tätigkeiten gibt es eine technische Bezeichnung: »Dialogfähigkeiten«. Bevor wir diese Bezeichnung erläutern, wollen wir uns fragen, weshalb geschickte Kooperation dieser Art eher dem idealen Bereich des Sollens als dem praktischen Bereich des alltäglichen Verhaltens anzugehören scheint.
Dequalifizierung
Die Kritik am Tribalismus kommt oft mit einem vorwurfsvollen Unterton daher, als wäre es dem Tribalisten nicht gelungen, den kosmopolitischen Maßstäben des Kritikers zu entsprechen. Außerdem kann man sich leicht vorstellen, dass die harte Arbeit der Kooperation mit andersartigen Menschen stets etwas Seltenes war und ist. Gleichwohl hat die moderne Gesellschaft die Kooperation in besonderer Weise geschwächt. Und die unmittelbarste Schwächung dieser Art betrifft die Ungleichheit.
Misst man die Ungleichheit mit dem Gini-Koeffizienten, einem häufig benutzten statistischen Instrument, so hat sie in der letzten Generation dramatisch zugenommen, und das sowohl in der entwickelten Welt als auch in den Entwicklungsländern. In China ist der Gini-Koeffizient aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung sprunghaft angestiegen, da der Wohlstand in den Städten deutlich schneller wächst als auf dem Lande. In Amerika ist die interne Ungleichheit gewachsen, weil der Verlust qualifizierter Arbeitsplätze den Wohlstand der breiten Masse hat sinken lassen, während der Wohlstand der obersten 1 Prozent und innerhalb dieser schmalen Schicht der obersten 0,1 Prozent in astronomische Höhen gestiegen ist. In der alltäglichen Erfahrung wird aus ökonomischer Ungleichheit soziale Distanz. Die Elite entfernt sich von der Masse, Erwartungen und Kämpfe eines Lkw-Fahrers haben wenig mit denen eines Bankers gemeinsam. Distanzen dieser Art machen gewöhnliche Menschen durchaus zu Recht zornig. Ein Denken und Verhalten nach dem Muster des »Wir-gegen-sie« ist eine rationale Folge.
Veränderungen in der modernen Arbeitswelt haben den Wunsch und die Fähigkeit zur Kooperation mit andersartigen Menschen auf andere Weise geschwächt. Im Prinzip begünstigt jede moderne Organisation die Kooperation. In der Praxis behindert jedoch die Struktur moderner Organisationen solche Kooperation – ein Umstand, auf den in der Managementlehre der Begriff des »Siloeffekts« verweist, die Isolation einzelner Beschäftigter und Abteilungen in verschiedene Einheiten, in Menschen und Gruppen, die wenig Kontakt zueinander haben und sogar Informationen horten, die auch für andere nützlich wären. Verstärkt wird diese Isolation noch durch die verringerte Zeit, die Menschen miteinander bei der Arbeit verbringen.
Das moderne Arbeitsverhältnis ist zunehmend kurzfristig angelegt, da kurzfristige Teilzeitjobs lange berufliche Laufbahnen innerhalb einer einzigen Institution verdrängen. Nach einer Schätzung wird ein junger Mensch, der im Jahr 2000 in die Berufswelt eintritt, im Laufe seines Arbeitslebens zwölf bis fünfzehn Mal die Stelle wechseln. 7 Auch innerhalb der Organisationen sind die sozialen Beziehungen eher kurzfristiger Natur. In der Managementpraxis wird empfohlen, dass Arbeitsteams nicht länger als neun bis zwölf Monate zusammenbleiben, damit die Beschäftigten nicht miteinander »verwachsen«, das heißt persönliche Bindungen untereinander entwickeln. Oberflächliche soziale Beziehungen sind eine der Folgen dieser Ausrichtung auf kurzzeitige Beschäftigung. Wenn Menschen nicht lange in einer Institution bleiben, beeinträchtigt dies sowohl ihr Wissen als auch ihre Bindung an die betreffende Organisation. Oberflächliche Beziehungen und kurzzeitige Bindung an die Institution verstärken gemeinsam noch den Siloeffekt: Die Beschäftigten ziehen sich in sich selbst zurück und lassen sich nicht auf Probleme ein, die nicht unmittelbar in ihren Arbeitsbereich fallen, erst recht nicht auf Menschen, die innerhalb der Institution etwas anderes tun.
Neben diesen materiellen und institutionellen Faktoren arbeiten heute auch kulturelle Kräfte gegen anspruchsvolle Kooperation. Die moderne Gesellschaft hat einen neuartigen Charaktertyp hervorgebracht – einen Menschen, der darauf bedacht ist, die Ängste zu verringern, die durch Unterschiede ausgelöst werden können, ob sie nun politischer, rassischer, religiöser, ethnischer oder erotischer Natur sind. Diese Menschen verfolgen das Ziel, Erregung zu vermeiden und sich möglichst wenig von tiefgreifenden
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