Zwanghafte Gier
Zeichen war, nahm Alex an, war das Fehlen eines Nachtstuhls, denn dies bedeutete, dass Frankie – wenn auch mit fremder Hilfe – das Badezimmer benutzen konnte, und Frankies Akzeptanz dieser Art von Hilfe bedeutete vermutlich, dass Michael Bolins Wiederauftauchen in ihrem Leben ein Geschenk des Himmels war, wie Jude auch über ihn denken mochte.
»Wir kommen gut zurecht.« Bolin hatte Frankie neben dem Sofa geparkt und gesehen, wie Alex sich umgeschaut hatte. »Stimmt’s, Baby?«
Alex dachte darüber nach, noch einmal das Thema Hilfe anzusprechen, einfach nur, um sie daran zu erinnern, dass das Angebot noch immer stand, entschied sich dann aber dagegen.
»Das Haus sieht doch gut aus, oder?«, fragte Bolin ein wenig gereizt.
»Natürlich.« Alex blickte wieder zu dem Bett und dem kleinen Tisch daneben, auf dem eine kleine Taschenlampe lag. Das war eine gute Idee, da eine Lampe nicht in Reichweite war, und Kabel abzutasten, war gefährlich. Daneben stand ein Glas mit schal aussehendem Wasser. »Aber vielleicht ...«
»Vielleicht was?«, sagte Bolin.
»Nur eine Kleinigkeit«, sagte Alex. »Der kleine Tisch wäre auf der anderen Seite des Bettes besser aufgehoben.«
»Aber das ist Frankies schlimme Seite«, gab Bolin zu bedenken.
»Ich weiß, dass es sich seltsam anhört ...« Alex war sicher, dass man ihm das schon geraten hatte – vermutlich der Physiotherapeut –, aber vielleicht hatte er es wieder vergessen, da es so viel zu beachten galt. »Und ich bin sicher, dass Sie es so vorziehen, Frankie ...« Sie lächelte die missmutig dreinblickende Frau an. »Aber je mehr Sie Ihre rechte Seite belasten, desto besser stehen Ihre Chancen, sich vollständig zu erholen.«
»Sie trinkt nachts gern Wasser«, sagte Bolin. »Wenn ich das Glas auf die andere Seite stelle, wird sie es nur umwerfen.«
»Selbst wenn Sie sich hinüberbeugen«, sagte Alex zu Frankie, »um Ihre linke Hand benutzen zu können, wird das Ihre Muskeln trainieren.«
»Was denkst du, Baby?«, fragte Bolin.
»Nein«, sagte Frankie trotzig.
Bolin grinste. »Das habe ich mir gedacht.«
Alex lächelte ebenfalls. »Die Entscheidung liegt offensichtlich bei Ihnen beiden.«
In den letzten Augenblicken hatte sie erkannt, was sich sonst noch hier verändert hatte. Die Fenster standen offen, was angesichts der Hitze mehr als willkommen war, und ein paar Fliegen schwirrten durchs Wohnzimmer, obwohl Frankie diese schmutzigsten aller Insekten ebenso wenig zu bemerken schien wie die Unordnung im Raum.
Marian Taub hatte recht, was die Blockade betraf.
»Wie wär’s mit Tee?«, fragte Bolin.
»Nicht für mich, danke.« Alex blickte zu Frankie. »Erst nachdem wir ein wenig gearbeitet haben. Was denken Sie, Frankie?«
»Ja«, sagte Frankie.
»Wollen Sie, dass ich bleibe?«, fragte Bolin Alex.
»Ich denke, wir kommen allein zurecht.« Alex schaute wieder zu Frankie. »Sind Sie einverstanden?«
Frankie antwortete nicht. Stattdessen warf sie einen übertrieben verunsicherten Blick zu Bolin – einen fast sehnsüchtigen Blick, dachte Alex, als könne sie es kaum ertragen, ihn nicht zu sehen.
»Dir wird schon nichts passieren, Baby.«
Er beugte sich vor, küsste sie zärtlich auf die Stirn und verließ das Zimmer.
Frankie folgte ihm mit Blicken, bis er verschwunden war.
»Er scheint sehr nett zu sein«, bemerkte Alex gerührt.
Frankie nickte.
»Wir können von Glück sagen, dass er in der Nähe war.« Alex wusste, dass sie damit ein wenig aufdringlich war, aber zum einen hoffte sie, dass das Thema Frankie zu ein wenig mehr Mitteilsamkeit verleiten würde; zum anderen war sie von der Beziehung der beiden fasziniert.
»Ja«, pflichtete Frankie ihr bei.
»Sie scheinen auf jeden Fall glücklich zu sein, ihn zu haben«, hakte Alex nach.
»Ja«, sagte Frankie erneut.
Alex unterdrückte ein Seufzen. Stattdessen lächelte sie, öffnete ihren Koffer und holte ein Buch voller Bilder von Haushaltsgegenständen hervor. Falls sich das als zu leicht für Frankie erweisen oder sie sich dadurch beleidigt fühlen sollte, würde sie etwas Kompliziertes rausholen.
»Nun gut«, sagte sie. »Es wir Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen.«
56
Nachdem Alex gegangen ist, sitzt Frankie allein im Wohnzimmer, wartet auf Bo und beobachtet, wie eine Fliege auf der rechten Lehne ihres Rollstuhls landet.
Sie hat das Gefühl, Fliegen nicht zu mögen, doch im Augenblick kann sie sich nicht erinnern, warum das so ist.
»Schnapp sie dir, Mädchen«, sagt Bo, als er
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